Am 26. Mai 2018 veranstaltete die Partei Die Linke Baden-Württemberg in Mannheim eine Fachtagung, die sich mit den Themen Flucht, Asyl und Migration beschäftigte.
Nach Veranstalterangaben nahmen an der Konferenz rund 80 Parteimitglieder und weitere Personen aus unterschiedlichen Teilen des Bundeslandes teil. In zwei Foren („Die Situation der Geflüchteten und Asylsuchenden“ – „Einwanderung in Deutschland“) wurde darüber diskutiert welche Handlungsmöglichkeiten in weiteren Gremien erarbeitet werden müssten. Impulsvorträge und eine abschließende Podiumsdiskussion ergänzten die Fachtagung.
Perspektiven von Einwanderung, Arbeitsplätze, Wohnen und Bildung
Gökay Akbulut (MdB und Stadträtin in Mannheim, Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik der Bundestagsfraktion) begrüßte die Teilnehmer/innen der Fachtagung und stimmte auf den Konferenztag mit der Vorstellung des Programms ein. Eine weitere Begrüßung und organisatorische Hinweise erfolgten durch Elli Brinkschulte (Kreissprecherin Mannheim).
Impulsvorträge stoßen auf großes Interesse
Zum Auftakt referierte Michel Brandt (MdB und Obmann im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestag) über Flucht- und Migrationsursachen und den Kampf um Frieden und Menschenrechte. Brandt berichtete über Fluchtursachen die durch Lebensmittelspekulationen, Rohstoffausbeutung in Entwicklungsländern und durch Hunger- und Klimakatastrophen ausgelöst werden. Er kritisierte, dass beispielsweise ein Drittel der weltweiten Getreidemengen an der Börse in Genf zu Lasten von Kleinbauern in Armutsstaaten und ausschließlich zur Gewinnmaximierung einiger cleweniger Großkonzerne gehandelt werden. Als skandalös bezeichnet wurde es, dass europäische Lebensmittelkonzerne zur Befriedigung ihrer Kapitalinteressen Geflügel- und Schweinefleisch zu Dumpingpreisen in afrikanische Länder exportieren und damit lokale Märkte und Hersteller in den Ruin, in Armut und Hunger treiben. Bemängelt wurde, dass die Genfer Flüchtlingskonvention Hunger und Klimakatastrophen nach wie vor nicht als Fluchtursachen anerkennen. Kritik geübt wurde auch an Medien die in Europa und Deutschland zu oft eine „Flüchtlingskrise“ herbei schreiben würden. Nach aktuellen Zahlen des UNHCR (Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen), so Michel Brandt, befinden sich derzeit weltweit ca. 66 Mio. Menschen auf der Flucht. 80-90% der Geflüchteten sind sogenannte Binnenflüchtlinge bzw. fliehen in Nachbarländer. Von einer Flüchtlingskrise in Deutschland oder Europa zu sprechen sei daher vollkommen verfehlt. Vermutlich neu dürfte es für die meisten Tagungsteilnehmer/innen gewesen sein zu hören, dass die USA und die EU den UN-Treaty boykottieren. Diese multilateralen Vereinbarungen der Vereinten Nationen sollen u.a. Lücken in bestehenden Gesetzgebungen in puncto Menschenrechte, Abrüstung und Umweltschutz beseitigen.
Christoph Cornides (Mitglied im Landesverband Baden-Württemberg) informierte in seinem Redebeitrag über die Hintergründe und die Ideen, die zur der Fachtagung führten. Was will die Partei tun, um Handlungsanweisungen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten damit anstehende Aufgaben zu lösen sind? Dies müsse seiner Meinung nach sowohl auf EU-, als auch auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene erfolgen. Weiter ging Cornides auf den Koalitionsvertrag der durch CDU/CSU und SPD geführten GroKo ein und verwies auf zwei Papiere in den Tagungsunterlagen. Diese Unterlagen beschäftigen sich parteiintern mit den Fragekomplexen „Für eine solidarische Einwanderungsgesellschaft“ und „Für das Recht auf Migration“. Er warb dafür, dass diese Thesenpapiere in den Arbeitsforen Berücksichtigung finden und im Nachgang der Tagung weiter thematisiert werden.
Der geplante Beitrag der Mannheimer Juristin Ruhan Karakul entfiel krankheitsbedingt.
Die Arbeitsforen
In Forum 1 ging es thematisch um „Die Situation der Geflüchteten und Asylsuchenden“ und in Forum 2 um „Einwanderung in Deutschland“. Auch in den Arbeitsgruppen wurden kurze Impulsvorträge von unterschiedlichen Referent/innen gehalten. Nach intensiveren Diskussionen und nach der Unterbrechung durch die Mittagspause wurden mittels Kartenabfrage Handlungsmöglichkeiten und Lösungsvorschläge zu den diversen Themen erarbeitet und später im Plenum ausgestellt.
Seán McGinley (Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg) berichtete in Forum 1 über die Situation im Bundesland und die Forderungen des Flüchtlingsrats. Der Rat besteht seit 30 Jahren, wurde und wird von vielen Institutionen immer als verlässlicher Partner geschätzt und erfuhr große Unterstützung. Durch die Verschiebung des politischen Klimas nach rechts im von den Grünen mit der CDU regierten Bundesland und durch die finanzielle Mittelkürzung durch die Landesregierung in Stuttgart wird die Arbeit des Flüchtlingsrats bedroht. In 2018 muss damit gerechnet werden, dass die Anzahl der angestellten Mitarbeiter/innen von 8 auf 6 sinken wird. Jessica Tatti (MdB) und Clara Bünger (ehem. Koordinatorin für „Refugee Law Clinics Abroad“ und Mitarbeiterin von Gökay Akbulut) ergänzten mit eigenen Beiträgen die Arbeit in diesem Forum.
Im Forum 2 sprachen Gökay Akbulut, Dr. Sabine Skubsch (Mitglied im Landesverband Baden-Württemberg und in der LAG Bildung) und Luigi Pantisano (Stadtrat in Stuttgart). Dr. Sabine Skubsch befasste sich schwerpunktmäßig mit den Themen Segregation, Ausgrenzung und Integration im Bildungswesen. In dessen Folge sei einer „ganzen Generation“ die Teilhabe an einer weitergehenden Bildung verweigert worden. Auch der eine oder andere Seitenhieb auf die AfD durfte hier nicht fehlen. Die rechtspopulistische Partei möchte in Baden-Württemberg keine Integration von Flüchtlingskindern in Regelschulen oder fordert, dass diese nur unter erschwerten Bedingungen erfolgen sollte. Skubsch mahnte einen bildungspolitischen Perspektivenwechsel und die Definition neuer bildungspolitischer Ziele an. Beispielhaft genannt: Migration als Normalität anerkennen und gestalten, kostenlose Kitas, Schule für alle ohne Ausnahme und unabhängig vom Aufenthaltsstatus und der erleichterte Zugang zur deutschen Sprache als eine wesentliche Voraussetzung zur gesellschaftlichen Teilnahme. Luigi Pantisano setzte den Fokus in seinem Referat auf das Thema Wohnen und beschrieb die Situation in Baden-Württemberg. Als sozial unverträglich genannt wurden die Mietpreise beispielhaft in hot-spot Städten wie Stuttgart oder Tübingen. Dort müssten Menschen oft bis zu einem Drittel ihres netto verfügbaren Einkommens für die Miete ausgeben. Gentrifizierung, der Mangel an Sozialwohnungen und die Schwäche vieler Gemeinderäte eine verbindliche Sozialquote bei Neuinvestitionen im Wohnungsbau einführen zu wollen, waren weitere Aspekte die beleuchtet wurden. Unter soziologischen Gesichtspunkten sprach der Referent über die Folgen der Kettenmigration und darüber welche Wichtigkeit ethnische Kolonien für Migranten haben, ohne diese mit Parallelgesellschaften verwechseln zu wollen. Pantisano sieht eine Diskriminierung und Benachteiligung von Migranten bei der Wohnungssuche und beim Erwerb von Immobilien, und dies unabhängig vom Einkommen oder Vermögen. Diese Beobachtung würde sich auch bei der Suche nach Schulen oder beruflichen Ausbildungsplätzen fortsetzen. Er findet, dass die Partei und die Gesellschaft die Chancen und Potentiale von Migranten erkennen muss, anstatt nach Defiziten und Problemen zu suchen. Den Begriff Migranten findet Luigi Pantisano für überholt und wünscht sich künftig diese gesellschaftliche Gruppe als „Neu-Deutsche“ oder „Deutsche Plus“ zu bezeichnen.
Podiumsdiskussion und vorläufiges Fazit
Moderiert wurde die Diskussion von Luigi Pantisano. Podiumsteilnehmer/innen waren Thomas Trüper (Stadtrat in Mannheim), Tobias Pflüger (MdB und verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion im Bundestag), Jessica Tatti und Gökay Akbulut.
Tatti und Akbulut fassten die wesentlichen Ergebnisse der beiden Foren, die nicht jeden Tagungsteilnehmer vollends zufrieden stellten, in kurzen Worten zusammen:
Der Flüchtlingsrat bleibt ein wichtiger Partner für die Partei, sowie für ehrenamtliche Flüchtlingshelfer und weitere Akteure in diesem Bereich. Die Unterbringung von Geflüchteten und die Wohnsituation von und für Migranten wird weiterhin in vielen Fällen als unbefriedigend eingestuft. Die Situation an EU-Außengrenzen wird als menschenunwürdig und desolat beschrieben. Frontex und Hot-Spot-Konzepte funktionieren in der Praxis nicht. Die Entwicklung von Dublin I zu IV brachte nur Verschlechterungen für Geflüchtete in der Europäischen Union. Wohnungs- und Arbeitsmarkt, sowie gelungene Integration und Bildung sind die primären Herausforderungen.
Tobias Pflüger benannte die Herausforderungen, die für die Partei während dieser Fachtagung in Mannheim entstanden sind und möchte diese beim Bundesparteitag im Juni 2018 in Leipzig weiter thematisieren. Baden-Württemberg nimmt weiter eine Vorreiterrolle bei Abschiebungen ein. Die grün-schwarze Landesregierung spricht sich bis dato und im Vergleich zu anderen Bundesländern nicht kategorisch gegen die Einrichtung sogenannter Anker-Zentren (Zentren für „Ankunft, Entscheidung, Rückführung“) für nach Deutschland Geflüchtete aus. Auch bei der Zunahme von Abschiebungen nach Afghanistan nimmt, so Pflüger, das Bundesland Baden-Württemberg eine Spitzenposition ein. Er berichtete von seinem kürzlich stattgefundenen Besuch gemeinsam mit Ursula von der Leyen in Kabul (Afghanistan), der nur unter allerhöchsten Sicherheitsmaßnahmen stattfinden konnte und fragte: „Ist dieses Land ein sicheres Herkunftsland?“ Er kritisierte die Waffenlieferungen der Bundesregierung an die Türkei und den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei auf die kurdische Bevölkerung. Am Beispiel der Stadt Cizre in der Türkei (Nordanatolien; Grenzgebiet zu Syrien), die von türkischen Armeeeinheiten massiv angegriffen wurde und wonach im Anschluss die Anzahl der Asylantragsteller aus dieser Stadt in Deutschland, vor allem in Hamburg, nachweislich stark angestiegen sind, machte Tobias Pflüger eindrücklich auf die Problematik aufmerksam. Der Redner kritisierte die Bundesregierung scharf, was die Schaffung von Fluchtursachen angeht. Ebenso verantwortlich sei die EU-Politik in Brüssel für die Verschlechterung der Situation vieler Geflüchteter durch eine immer weiter voranschreitende repressive Asylpolitik.
Wohnen, Bildung und Sicherheit waren die Themen, welche vom Kommunalpolitiker Thomas Trüper bei seinem Vortrag in den Vordergrund gestellt wurden. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum sei nicht Migranten und Geflüchteten in Mannheim geschuldet. Das Problem ist hausgemacht und werde von der Linken Stadtratsfraktion seit Jahren intensiv bearbeitet. Nach zähen Verhandlungen stimmten die im Stadtparlament vertretenen Parteien mit knapper Mehrheit Anfang Mai 2018 (mit den Stimmen von SPD, die Grünen und die Linke) einer verbindlichen 30%-Quote zu. Steigende Geburtenraten und der Mangel an qualifizierten Lehrkräften und Sozialarbeitern sind ein weiteres Aufgabengebiet, welches auf kommunaler Ebene zusätzlichen bildungspolitischen Einsatz erfordert. Was die Sicherheit angeht, hob Trüper die kritische Situation mit einer Gruppe von etwa 30 unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aus Maghreb-Staaten hervor. Diese hatten in 2017 hunderte von Taschendiebstählen im Stadtgebiet begangen. Erst nachdem ein Brandbrief des Mannheimer OB’s Dr. Peter Kurz (SPD) gerichtet an den Innenminister von Baden-Württemberg, Thomas Strobl (CDU), an die Öffentlichkeit gelangte, folgten Taten. Die minderjährigen Straftäter wurden bundesweit in geeignete Sozialaufnahmeeinrichtungen verlegt. Seitdem ist dieses Sicherheitsproblem für Mannheim gelöst. Thomas Trüper berichtete weiter, dass sich die Zahl der Geflüchteten in Mannheim mit ca. eintausend Menschen derzeit auf einem absoluten Tiefststand befindet. Im Vergleich dazu befanden sich 2015/2016 bis zu knapp 15.000 Geflüchtete in Landeserstaufnahme- und Bedarfseinrichtungen im Stadtgebiet. Als besondere Herausforderung bezeichnete Thomas Trüper in puncto Migration und Integration den Zuzug von rund 10.000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien binnen der letzten 5 Jahre nach Mannheim. An dieser Stelle bestünde noch sehr viel Handlungsbedarf. Trüper skizzierte in einem Exkurs die destruktive Arbeit ehemaliger AfD-Mitglieder im Gemeinderat (ex-LKR (Liberal-Konservative Reformer) und jetzt „Bürgerfraktion“) an einem Beispiel wie versucht wird Ausländerfeindlichkeit und Alltags-Rassismus ins Stadtparlament zu transportieren. In der Frage (im Gemeinderat), ob es in Mannheim zu viele oder zu wenige Papierkörbe im öffentlichen Raum gäbe, soll der Sprecher der rechtspopulistischen „Bürgerfraktion“ gesagt haben (sinngemäss): „Wenn wir die (Menschen) nicht reingelassen hätten, dann müssten wir uns diese Frage nicht stellen“.
Einige Stimmen und Fragen von Tagungsteilnehmer/innen in der Podiumsdiskussion:
- „Wer schützt ehrenamtliche Flüchtlingshelfer und Menschen die in der Asylberatung tätig sind vor Übergriffen aus dem rechtsextremistischen Umfeld?“
- „Man sollte als Partei mehr Solidarität mit dem BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) zeigen“
- „Die Tagungsergebnisse blieben unter den Erwartungen; es konnten keine konkreten Resultate präsentiert werden“
- „Gemeinsamkeiten in wichtigen Punkten müssen mit anderen Partnern gefunden werden. Neue Bündnisse gilt es zu schmieden.“
- „Partei muss mehr gegen Fluchtursachen ankämpfen“
Unterstützt wurde die Tagung u.a. durch das Mannheimer Bündnis gegen Abschiebungen, Asylcafe Mannheim und „Mannheim sagt Ja!“.
Transparenzhinweis: Der Autor des Berichts ist derzeit stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Mannheim sagt Ja!“.
(Alle Fotos: Christian Ratz)
Weitere Informationen und eine Bildergalerie gibt es bei Kommunalinfo Mannheim.