Mehrdad Zaeri steht für die Neckarstadt wie kaum ein anderer. Als Künstler „mit orientalischer Seele“ sagt er von sich, die Neckarstadt sei ein Zuhause, in welches er immer wieder gerne zurückkommt.
Ich treffe ihn an einem wunderschönen Herbstsonntag zwischen zwei Reisen. Herbst ist die Zeit der Buchmessen; für ihn als Buchillustrator ist das eine Zeit des Unterwegsseins. Mich interessiert der Mensch hinter Mehrdad Zaeri und wie die zwei Kulturen, die sein Leben begleiten, ihn prägen und ausmachen.
Mehrdad, wir sitzen hier auf einer Bank in Deinem Hinterhof. Ein typisches Altstadthaus der Neckarstadt. Wir blicken auf die Balkone der Nachbarn, ein Hund beobachtet uns, die Blätter rieseln. Es ist ein wunderbar heimeliges Gefühl. Was macht für Dich einen gelungenen Abend hier auf Deiner Feierabendbank aus?
Mehrdad: Mit Freunden bei einem schwarzen Tee unter diesem Essigbaum zu sitzen, so geht für mich ein erfüllter Tag zu Ende. Und die Atmosphäre hier; das macht für mich die Neckarstadt aus. Der riesige Baum, das alte Gemäuer um uns herum und dieser Blick auf den Hof. Das Viertel hat eine Ästhetik, die mich immer wieder begeistert. Tolle Architektur, schöne Häuser, das Lichtspiel der Platanen in der Langen Rötterstraße. Es gibt diese Momente, da bleiben meine Frau und ich auf dem Heimweg stehen und schauen fasziniert auf eine Häuserzeile. Dieser Stadtteil ist voller Schätze für das Auge; ein Ort zum Verlieben. Ich lebe gerne hier; die Neckarstadt ist für mich ein Zuhause.
Du hast in Heidelberg gelebt und bist vor 12 Jahren nach Mannheim gezogen, …
Mehrdad: … aus finanziellen Überlegungen. Mannheim sollte eine Zwischenstation sein, weil Mieten hier bezahlbar sind. Und plötzlich entdeckten wir, was diese Stadt uns bietet. Mannheim ist wie ein Stadtteil von Berlin. Hier hat Kultur einen festen Platz, hier wird sie gelebt. Das ist eine Seltenheit in Deutschland. So oft wird Kunst museal ausgestellt, sind Städte satt. Mannheim ist das nicht. Kunst wird hier gelebt, ist lebendig und interessant. Das hat damit zu tun, dass niemand hier her will. Die Stadt ist wie eine Braut, die sich Mühe gibt, um interessant zu sein. Was für eine Seltenheit in Deutschland und sehr besonders für eine Stadt dieser Größe.
Und die Neckarstadt als Dein neuer Wohnort? Wie hast Du sie wahrgenommen?
Mehrdad: Zunächst lebten wir in der Neckarstadt-West. Für uns als Künstler war das toll. Vieles hat mich an meine Kindheit im Iran erinnert. Das Leben findet auf der Straße statt und im Hausflur. Jeder kennt jeden im Haus; mit allem, was dazu gehört.
Nach zwei Jahren war es zu viel von allem; wir sehnten uns nach Ruhe. Und kamen durch einen Zufall in den anderen Teil der Neckarstadt.
Die Ruhe war anfangs irritierend. Diese Stille. Ich wohne hier Jahre und kenne die Nachbarn gar nicht. Diese Stille ist etwas typisch Deutsches. Daran merke ich, dass es deutsche Eigenschaften gibt, die ich mir zu Eigen gemacht habe. Die Ruhe schätze ich sehr; gerade für meine Arbeit, das Zeichnen.
Für Deine Leidenschaft, das Zeichnen, hast Du einen steinigen Weg in Kauf genommen und einen ungewöhnlichen Pfad eingeschlagen. Um zeichnen zu können, verdientest Du Dir den Lebensunterhalt mit Taxi fahren statt dem vorgesehenen Studium. Die Diskussionen im Elternhaus waren sicher herausfordernd…
Mehrdad: Meine Eltern flohen aus dem Iran, da war ich 14 Jahre alt. Sie haben alles für uns Kinder aufgegeben, als sie mit uns nach Deutschland gingen. Und wir führten ein wohlhabendes Leben, mein Vater war ein sehr angesehener Arzt. Natürlich sollte ich in seine Fußstapfen treten und Medizin studieren; und wenn das nicht klappt, dann wenigstens Ingenieurwesen oder Architektur. Und natürlich war es für sie gar nicht okay, dass ich als Künstler lebte; es war eine Katastrophe.
(Mehrdad schmunzelt bei dem Gedanken, der ihm nun durch den Kopf geht.)
Es ist verrückt, sie haben so viel aufgegeben, damit wir Kinder ein Leben in Freiheit führen können. Und dann musste ich ihnen widersprechen, um die Freiheit zu haben, die sie sich für mich gewünscht haben.
Diese Freiheit war den Weg wert, den ich gewählt habe. Neben dem Taxifahren konnte ich zeichnen. Jeden Tag. Ein Bild hat mich bei meiner Entscheidung geleitet: An dem Tag, an dem ich sterbe, möchte ich auf’s Leben zurückschauen und wissen, jeden Tag gemalt zu haben. 25 Jahre später schaue ich zurück und sehe, dass es jeden Tag wert war. Es waren Jahre voller Freiheiten, jeder Tag schön.
Und doch wirst Du mit dem Wunsch gestartet sein, von Deiner Kunst leben zu können. Hat sich dafür eine Perspektive abgezeichnet?
Mehrdad: Oh, es war ein langer, harter Weg. Ich konnte gerade überleben. Dabei war es mein Traum, Bücher zu illustrieren; nichts wollte ich mehr. Ich habe alles versucht, vergeblich. Niemand interessierte sich für mich und für das, was ich wollte. Mit 36 war ich soweit, alles hin zu schmeißen. Den Traumjob als Buchillustrator hatte ich abgehakt; die Vision, vom Malen zu leben, war durch. Ich hatte aufgegeben.
Und plötzlich kam der Anruf vom Verleger der Büchergilde Gutenberg. Mein erste Illustration eines Buches war das Chinesische Dekameron. Von da an war alles anders. Es gab eine wahre Explosion, plötzlich kamen mehr Anfragen, als ich stemmen konnte.
Dann kam die nächste Herausforderung. Als Künstler wirst Du oft angesprochen, weil Leute mit ihren Ideen jemanden suchen, der diese für sie umsetzt. Als Künstler möchte ich natürlich meine Ideen verwirklichen. Mittlerweile wähle ich bewusst, was ich angehe. Ich habe verstanden, dass ich meine eigenen Projekte brauche.
Was macht Dich als Künstler aus? Wie verbindest Du Deine iranischen Wurzeln und Deine Erfahrungen aus Deinem Leben hier in Deutschland?
Mehrdad: Meine iranische Seele ist in mir und schlägt in jeder einzelnen meiner Überlegungen durch. Ich bin ein offener Mensch und jemand, der selten Nein sagt. Ich habe keinen festen Plan, keine vorgefertigten Techniken und Lösungen. Durch zufällige Begegnungen ergibt sich viel Neues. Und wenn es etwas ist, was ich erst einmal nicht kann, dann finde ich meinen Weg dorthin. Dieses Spontane, Offene, manchmal Naive, das macht mich als Mensch und Künstler aus. Sachliche Entscheidungen zu treffen, das ist ein Wert, den ich mir dann hier angeeignet habe.
Du beschreibst Dich als jemanden, der früh im Leben alles aufgeben musste und für den Heimat etwas ist, was es in Deinem Leben nicht gibt. Was ist es alternativ, was Dich im Leben trägt und was Dir Halt gibt?
Mehrdad: Generell tragen im Leben mehrere Säulen; allem voran ist das die Familie; der Zusammenhalt von Eltern und Geschwistern. Der Beruf bzw. die Berufung ist eine weitere Säule, dann die Beziehung, in der wir leben. Und der Ort, an dem Du lebst, Dein Zuhause. Ich erlebe, dass ein bis zwei Säulen aus diesem Wertegerüst stabil sein müssen, damit es passt.
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Wir sitzen noch einen Moment auf der Bank im Hof; die Sonne glitzert in den ausgewaschenen Fugen der gelb-grauen Backsteinwand des Hinterhofes. Jeder kleine Luftzug zaubert rot-goldenes Blätter-Konfetti in die Luft. Es ist ein Ort der Stille, so wie Mehrdad ihn beschrieben hat. Als das, was er hier besonders schätzt. Eine Stille voller Atmosphäre, voller Leben. Jeder für sich, und gleichzeitig in einem stimmigen Miteinander.
Mehrdad lenkt meinen Blick auf einen der kleinen Balkone, auf denen sich ein Kopf hebt.
„Wusstest Du, dass der Hund dort im ersten Stock nie bellt? Ist das nicht faszinierend? Ich frage mich, wie er das mit seinem Selbstverständnis als Bewacher ausmacht; was in seinem Kopf vorgeht, wenn er still bleibt, egal, was um ihn herum passiert.“
Die Blätter rascheln und mir geht Mehrdads Kommentar zu seinem Leben hier durch den Kopf: „Ich habe dem Leben nichts hinzuzufügen; es fehlt nichts.“ So wie dieser Moment, so wie das Leben hier. Und ich spüre, dass dies wohl der Wert ist, der unser Viertel ausmacht und der die Menschen hier zusammenhält.
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