Jedes Jahr im November findet in der Neckarstadt-West das Kulturevent statt, bei dem die Nerven der örtlichen Polizei besonders blank zu liegen scheinen. So auch dieses Jahr.
Menschen aus allen Stadtteilen und aus der Region kommen, genießen die offene Atmosphäre, amüsieren sich, informieren sich, denken nach und manche diskutieren gar. Kunst ist oft sehr politisch. Künstler*innen in aller Welt werden von Regierungen verfolgt. In der Neckarstadt-West kommen viele Kulturen zusammen. Während der Lichtmeile zeigt die Kunst- und Kulturszene, was in ihr steckt.
Offizieller Programmpunkt mit Ausstellung auf der Lichtmeile
Am Samstagabend gehen zwei Frauen durch die Straßen, nicht einfach so, sondern sie tragen ein Transparent, auf dem steht: „Stopp – Kein Ausverkauf der Neckarstadt“. Für die beiden ist das eine Kunstaktion, nach dem Vorbild der „Sozialen Skulptur“ von Joseph Beuys. Sie gehören zu einer Gruppe, die sogar offiziell im Programm der Lichtmeile aufgeführt ist. Die Frauen sprechen mit Passanten, werden fotografiert, stehen fünf Minuten mit dem Transparent auf dem Neumarkt.
Sie protestieren für den Erhalt der Neckarstadt in ihrer gewachsenen Struktur. Sie protestieren dagegen, dass Mietwohnungen im großen Stil von finanzkräftigen Investoren aufgekauft, die Mieten massiv erhöht und langjährig hier lebende Menschen verdrängt werden. Sie protestieren dafür, dass sich Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen auch in Zukunft leisten können.
Dann packen die beiden Frauen ihr Transparent ein, vertiefen sich mit Freunden ins Gespräch über die Waldhofstraße im Jahr 1993. Denn es werden Bilder von der damaligen Hausbesetzung, den Aktionen, der Stürmung durch die Polizei und vom Abriss des „Lortzingblocks“ gezeigt. Abgesehen von den historischen Aufnahmen ist alles friedlich – es ist der Abend am „Tag der offenen Ateliers“ bei der Lichtmeile.
Werbung
Foto: M. Schülke
Foto: M. Schülke
Gestatten, Kunstpolizei. Ihre Ausweise bitte!
Plötzlich kommt die Polizei und möchte von einer der Frauen die Personalien aufnehmen: Sie habe am Neumarkt ein Transparent gezeigt und es könne sein, dass sie nochmals damit auf die Straße gehe und ihr dann 200 Menschen folgen würden. Das sei dann eine unangemeldete Versammlung und die Polizei brauche dafür einen Verantwortlichen. So schildert die Betroffene den Hergang der Situation und die Argumentation des Beamten.
Auf Nachfrage nimmt die Pressestelle der Polizei zu der Maßnahme wie folgt Stellung:
Das besagte Kulturfest wurde seitens der Polizei im Rahmen eines Einsatzes begleitet. Am Abend des 16. November stellten Beamte vor dem Anwesen Waldhofstraße 8 die Personalien einer Frau, die ein Transparent mit sich führte, fest. Das Geschehen wurde von etwa 10 bis 15 Personen verfolgt, die Maßnahme mehrfach gegenüber der betroffenen Person und den umstehenden Gästen der Lichtmeile erläutert. Das Feststellen der Personalien diente lediglich dazu, im Falle einer spontanen Versammlung einen Ansprechpartner benennen zu können. Eine Verwarnung wurde ausdrücklich nicht ausgesprochen.
Für die Betroffene wirkte die Identitätsfeststellung dennoch einschüchternd, schildert sie sichtlich aufgewühlt im Anschluss. Falls Dritte ihre Kunstaktion für eine Spontanversammlung gekapert hätten, wäre sie nun möglicherweise zur Verantwortung gezogen worden. Eine harmlose Kunstaktion als Ausdruck der Meinungsäußerung mit einem Transparent wird schon als potentielle Ordnungswidrigkeit mit polizeilichen Maßnahmen belegt. Solche Präventivmaßnahmen sind dazu geeignet, auch rechtmäßige Spontanversammlungen von vornherein zu ersticken, weil die Bürger*innen sich der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt fühlen könnten.
Während des alljährlichen Kulturfests scheint die Neckarstädter Polizei besonders empfindlich auf unerwartete Ereignisse zu reagieren. Auch bei der Lichtmeile 2018 suchte die Polizei nach einem Verantwortlichen für eine längst aufgelöste Spontanversammlung. Gut, dass dieses Jahr kein Passant vorbei kam und sich abfällig über die Maßnahme äußerte, sonst hätte es womöglich wieder verletzte Lichtmeilen-Besucher*innen gegeben. 2015 verfolgten Polizisten eine Gruppe von Demonstranten, quer durch den Publikumsverkehr des Kulturfests.
Foto: M. Schülke
Foto: M. Schülke
Foto: M. Schülke
Mit Material der betroffenen Personen und Informationen des Polizeipräsidiums Mannheim.
Diese Webseite verwendet Cookies, um die Funktionalität zu ermöglichen, Inhalte darzustellen sowie für Statistiken und Werbung.
Funktionale Cookies
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Ab 1 Euro pro Monat sorgst Du dafür, dass unabhängiger Lokaljournalismus in der Neckarstadt möglich bleibt.
Hilf mit, dass sich alle ohne Bezahlschranken informieren und mitreden können. Deine Unterstützung macht den Unterschied für eine informierte demokratische Gesellschaft. 🤝 Jetzt spenden und die Neckarstadt stärken!
Jedes Jahr im November findet in der Neckarstadt-West das Kulturevent statt, bei dem die Nerven der örtlichen Polizei besonders blank zu liegen scheinen. So auch dieses Jahr.
(Zu unserem Bericht von der Lichtmeile selbst, hier entlang.)
Menschen aus allen Stadtteilen und aus der Region kommen, genießen die offene Atmosphäre, amüsieren sich, informieren sich, denken nach und manche diskutieren gar. Kunst ist oft sehr politisch. Künstler*innen in aller Welt werden von Regierungen verfolgt. In der Neckarstadt-West kommen viele Kulturen zusammen. Während der Lichtmeile zeigt die Kunst- und Kulturszene, was in ihr steckt.
Offizieller Programmpunkt mit Ausstellung auf der Lichtmeile
Am Samstagabend gehen zwei Frauen durch die Straßen, nicht einfach so, sondern sie tragen ein Transparent, auf dem steht: „Stopp – Kein Ausverkauf der Neckarstadt“. Für die beiden ist das eine Kunstaktion, nach dem Vorbild der „Sozialen Skulptur“ von Joseph Beuys. Sie gehören zu einer Gruppe, die sogar offiziell im Programm der Lichtmeile aufgeführt ist. Die Frauen sprechen mit Passanten, werden fotografiert, stehen fünf Minuten mit dem Transparent auf dem Neumarkt.
Sie protestieren für den Erhalt der Neckarstadt in ihrer gewachsenen Struktur. Sie protestieren dagegen, dass Mietwohnungen im großen Stil von finanzkräftigen Investoren aufgekauft, die Mieten massiv erhöht und langjährig hier lebende Menschen verdrängt werden. Sie protestieren dafür, dass sich Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen auch in Zukunft leisten können.
Dann packen die beiden Frauen ihr Transparent ein, vertiefen sich mit Freunden ins Gespräch über die Waldhofstraße im Jahr 1993. Denn es werden Bilder von der damaligen Hausbesetzung, den Aktionen, der Stürmung durch die Polizei und vom Abriss des „Lortzingblocks“ gezeigt. Abgesehen von den historischen Aufnahmen ist alles friedlich – es ist der Abend am „Tag der offenen Ateliers“ bei der Lichtmeile.
Gestatten, Kunstpolizei. Ihre Ausweise bitte!
Plötzlich kommt die Polizei und möchte von einer der Frauen die Personalien aufnehmen: Sie habe am Neumarkt ein Transparent gezeigt und es könne sein, dass sie nochmals damit auf die Straße gehe und ihr dann 200 Menschen folgen würden. Das sei dann eine unangemeldete Versammlung und die Polizei brauche dafür einen Verantwortlichen. So schildert die Betroffene den Hergang der Situation und die Argumentation des Beamten.
Auf Nachfrage nimmt die Pressestelle der Polizei zu der Maßnahme wie folgt Stellung:
Für die Betroffene wirkte die Identitätsfeststellung dennoch einschüchternd, schildert sie sichtlich aufgewühlt im Anschluss. Falls Dritte ihre Kunstaktion für eine Spontanversammlung gekapert hätten, wäre sie nun möglicherweise zur Verantwortung gezogen worden. Eine harmlose Kunstaktion als Ausdruck der Meinungsäußerung mit einem Transparent wird schon als potentielle Ordnungswidrigkeit mit polizeilichen Maßnahmen belegt. Solche Präventivmaßnahmen sind dazu geeignet, auch rechtmäßige Spontanversammlungen von vornherein zu ersticken, weil die Bürger*innen sich der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt fühlen könnten.
Während des alljährlichen Kulturfests scheint die Neckarstädter Polizei besonders empfindlich auf unerwartete Ereignisse zu reagieren. Auch bei der Lichtmeile 2018 suchte die Polizei nach einem Verantwortlichen für eine längst aufgelöste Spontanversammlung. Gut, dass dieses Jahr kein Passant vorbei kam und sich abfällig über die Maßnahme äußerte, sonst hätte es womöglich wieder verletzte Lichtmeilen-Besucher*innen gegeben. 2015 verfolgten Polizisten eine Gruppe von Demonstranten, quer durch den Publikumsverkehr des Kulturfests.
Mit Material der betroffenen Personen und Informationen des Polizeipräsidiums Mannheim.
Das Neckarstadtblog dankt für die Unterstützung von:
Auch interessant…