Was wird nach zwei Jahren subventionierten Tickets aus der Modellstadt Mannheim? Unser Gastautor wagt einen kritischen Blick auf die aktuellen Verhältnisse.
Mannheim ist seit einem Jahr eine von fünf vom Bundesverkehrsministerium ausgerufene Modellstadt zur Luftreinhaltung. Dafür wurden insgesamt 130 Millionen Euro bereitgestellt. Ausbau des ÖPNV, engere Taktung, vergünstigte Tickets. Die Ideen gleichen teilweise einem blinden und verzweifelten Aktionismus ohne nachhaltige Wirkung. Denn das Projekt ist auf zwei Jahre begrenzt. Was geschieht danach? Das Geld vom Bund fällt weg, d.h. schlussendlich, dass Verkehrsbetriebe wieder automatisch gezwungen sind, ihre Preise zu erhöhen, um Ausbau und engere Taktung dauerhaft finanzieren zu können. Dadurch besteht wiederum die Gefahr, dass neugewonnene Fahrgäste im wahrsten Sinne des Wortes wieder abspringen.
Der gesamte Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN) hat schon vor Beginn des Projekts eine zukunftsweisende Lösung auf den Weg gebracht. Mit einer App zahlt der Fahrgast nur die Strecke, die er tatsächlich zurückgelegt hat. Der Fahrpreis wird nach Luftlinie ermittelt. Das macht die Fahrt mit den Öffentlichen insbesondere für Kurzstrecken interessant und bequem.
Zeit ist Geld
Eine engere Taktung der Mannheimer Straßenbahnen auf alle fünf Minuten macht größtenteils keinen Sinn und scheint glücklicherweise auch nicht angedacht. Als Fahrgast wäre man nämlich dadurch auch nicht schneller am Ziel, denn die Fahrtzeit an sich bleibt die gleiche. Und das macht, je nachdem wo man hin muss, den ÖPNV unattraktiv. Denn das Zauberwort heißt: Zeit! Wir sind alle berufsbedingt und privat gestresster als früher, zumindest gefühlsmäßig. 45 Minuten mit den Öffentlichen, um an den Arbeitsplatz zu gelangen, steht für viele Menschen einfach nicht zur Debatte, wenn sich mit dem Auto die gleiche Strecke in 20 Minuten bewerkstelligen lässt. Deshalb ist es nachvollziehbar, wenn z.B. die Schönauer auf dem Weg in die Stadt lieber das Auto nehmen, als die Straßenbahn. Eine attraktive Alternative wäre ein S-Bahn-Anschluss. Mit ihm würde sich die Fahrtzeit um die Hälfte verkürzen.
In Mannheim hapert es an einem intelligenten Ausbau.
Der “direkte Weg”
Erst kürzlich feierten die Stadt Mannheim und die Rhein-Neckar-Verkehr GmbH im Rahmen des Modellprojekts die neue “Denker-Buslinie” 65 (→), welche die Popakademie im Jungbusch auf direktem Weg, wie es heißt, über die Universität mit der Hochschule auf dem Almenhof verbindet. Der “direkte Weg” sieht wie folgt aus: Über die Hafenstraße geht es auf den Parkring. Der Bus biegt zwischen den Quadraten B 7 und A 5 ein. Fährt anschließend rechts zur Bismarckstraße. Da man hier wiederum nur rechts abbiegen kann, muss der Bus ein Stück gen Westen zurückfahren und einen U-Turn machen. Nun geht es am Schloss vorbei, dann rechts und über die Brücke, um auf die B 36 zu gelangen. Da auf der Strecke zur Hochschule auch der Hauptbahnhof angefahren werden soll, in diesem Fall der Süd-Eingang (auf dem Rückweg ist es der Haupteingang), verlässt der Bus die staugefährdete B36 alsbald wieder und fährt über die parallel verlaufende Glücksteinallee zurück. Wieder ein U-Turn und dann kann es tatsächlich auf dem direkten Weg zur Hochschule weitergehen.
Bus-Fahrtzeit: 16 Minuten. Mit dem Auto: 8 Minuten.
Keine Errungenschaft. Fahrgäste ab Popakademie oder ab Fakultät für Sozialwissenschaften in A 5 sparen sich den jeweils 500 Meter langen Fußweg zur Straßenbahnhaltestelle, das ist richtig. Die Buslinie 65 ist aber auch hier nicht schneller, als die Fahrt mit den Straßenbahnlinien 2 und 1. Außerdem wird es sich zeigen, ob genügend Menschen die neue Linie nutzen werden, so dass sich das Angebot für die RNV auch rechnet. Langfristig wäre es wahrscheinlich klüger, den Parkring und die Bismarckstraße an das Straßenbahnnetz anzuschließen. Im Glücksteinquartier wird es in naher Zukunft eh eine neue Straßenbahnlinie geben.
Immer durch die Quadrate
Die 65 ist nicht die einzige Buslinie, die so einen fragwürdige Streckenverlauf hat. Von den Quadraten aus fahren alle Straßenbahnen sternförmig in die Stadtteile. Sollte es nicht die Aufgabe der Buslinien sein, diese miteinander zu verbinden, damit man als Fahrgast nicht immer erst in Richtung Stadt hineinfahren muss, um in einen anderen Stadtteil zu gelangen (z.B. Sandhofen – Vogelstang oder Friedrichsfeld – Rheinau)? Sollten Buslinien nicht längere Strecken zurücklegen? Die besagte Linie 65 bedient nur acht Haltestellen in einer 20-Minuten-Taktung und ist auch hier nicht die einzige. Mannheim hat einen ganzen Flickenteppich an Buslinien, wenn man sich mal den Verkehrsnetzplan der VRN anschaut. Genauer gesagt sind es unschlagbare 26 an der Zahl! Manche fahren nur im Sommer, andere nur zur Hauptverkehrszeit oder nur vormittags, manche stündlich, andere alle 20 Minuten. Aber keine einzige mit einer 10-Minuten-Taktung, die Fahrgästen ermöglicht – und das betrifft insbesondere Einwohner in den Außenbezirken Mannheims – ihre Anschlussstraßenbahn oder S-Bahn frei wählen zu können. Aber vielleicht möchte man auch gar nicht in die Stadt. Ein Beispiel: Auf der Rheinau lebende schwimmbegeisterte Jugendliche oder Rentner*innen, haben keine direkte Anbindung zum nächstgelegenen Neckarauer Gartenhallenbad, um dort mit Gleichgesinnten Bahnen zu schwimmen. Kein Bus fährt das Schwimmbad an (das nur am Rande zum Thema Schwimmbadschließungen in Mannheim).
Unsinnige Linien-Splittungen
Ein letztes Beispiel: Warum werden die Straßenbahnen in 4 (Endstelle: Gartenstadt Waldfriedhof) und 4A (Endstelle: Gartenstadt Käfertaler Wald) oder in 6 (Endstelle: Neuostheim) und 6A (Endstelle: SAP-Arena / S-Bahnhof) gesplittet? Sollen doch die 4 und die 6 weiterhin Mannheim mit Ludwigshafen und eine neue Linie, nennen wir sie mal 12, den Käfertaler Wald mit der SAP-Arena verbinden. Denn wenn man den Gartenstädtern und Neuhermsheimern eine umweltverträgliche Verkehrsalternative schmackhaft machen möchte, sollte doch wenigstens die 10-Minuten-Taktung statt der 20-minütigen drin sein. Auch wenn die Wirtschaftlichkeit als Gegenargument kommt, was war denn zuerst da? Die Henne oder das Ei?
Apropos Wirtschaftlichkeit. In Amsterdam steigt man grundsätzlich nur vorne ein und der Fahrschein wird registriert. Auch in den Straßenbahnen. Die hinteren Türen dienen nur zum Aussteigen. So wird ohne zusätzliches Kontrollpersonal gesichert, dass jeder Fahrgast auch mit einem gültigen Fahrschein einsteigt. Durch Schwarzfahren und die kostenintensiven Kontrollen geht der RNV viel Geld verloren. Geld, das sie in ihr Verkehrsnetz investieren und somit mit weniger Subventionen auskommen könnte.
Der Beitrag erschien zunächst im Blog “Natürlich Mannheim” und wurde von der Redaktion in Abstimmung mit dem Autoren überarbeitet.