Der Wettlauf der Mieter*innen eines Wohn- und Geschäftshauses in der Waldhofstraße gegen zahlungskräftige Investoren ist beendet. Eine Erfolgsgeschichte.
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In der Neckarstadt geht bei vielen Mieter*innen die Angst um. Seit einigen Jahren erfährt der Stadtteil eine Aufwertung, die Immobilienspekulant*innen anzieht und Mieten nach oben treibt. Immer mehr Menschen können sich die Mietpreise nicht mehr leisten, manche müssen weg ziehen. So war es auch für die Mieter*innen des Wohn- und Geschäftshauses in der Waldhofstraße 8 ein Schock, als sie erfuhren, dass die Besitzerin plante, das Anwesen zu verkaufen.
Es folgten Wochen und Monate der Anspannung, der spontanen Aktivität und Organisierung und ein Jahr später hatten es die Mieter*innen tatsächlich geschafft: Sie konnten das Haus mit Unterstützung zahlreicher Freund*innen, Sympathisant*innen und einer Stiftung kaufen.
Bereits vier Mietshäuser Syndikatsprojekte in Mannheim
Beratend zur Seite standen der Hausgemeinschaft neben dem Mannheimer Mieterverein vor allem Aktive des Mietshäuser Syndikats (i). Dieser dezentral organisierte Zusammenschluss besteht aus bundesweit über 150 Hausprojekten, die in ähnlicher Form durch die Mieter*innen selbst organisiert sind. Sie kaufen ihr Haus mit Hilfe von Kleinkrediten und sind Mieter und Vermieter unisono. Der Dachverband sorgt dafür, dass die Häuser nicht weiterverkauft werden können, verhindert jede Möglichkeit der Immobilienspekulation und sorgt damit für langfristig günstige Mietpreise.
Im Mietshäuser Syndikat sind die Projekte sehr unterschiedlich. Es gibt Altbauten in ostdeutschen Kleinstädten, wo Student*innen für knapp 3 Euro Kaltmiete wohnen und ihr Haus selbst renovieren. Oder es gibt teure Neubauten in Süddeutschland, die mit ihren 10 Euro Kaltmiete immer noch günstiger sind, als vergleichbare Wohnungen auf dem „freien Markt“.
In Mannheim könnte „Viertel 8“ das fünfte Mietshäuser Syndikatsprojekt werden. 2015/2016 zogen die ersten Mieter*innen in den Projekten 13 Hektar Freiheit, SWK und umBAU Turley² auf dem ehemaligen Kasernengelände Turley Barracks ein. Auf dem Franklin Konversionsgelände entsteht zur Zeit das Neubauprojekt Esperanza. Es gibt noch einige weitere Initiativen in verschiedenen Projektphasen.
Acht Wohnungen im Altbau, drei Gewerbeflächen und ein Hinterhof
„Viertel 8“ in der Waldhofstraße ist anders. Hier gab es keinen langwierigen Gruppenprozess, keine ausgiebigen Planungen. Alles musste schnell gehen. Als die Nachricht von der Verkaufsabsicht kam, wurde improvisiert und spontan gehandelt. Es folgten Treffen der Mieter*innen, der Verein Wonnem e.V. wurde gegründet und als das Konzept stand, musste Geld in Form von Kleinkrediten gesammelt werden. Zur Hilfe kam den Mietaktivist*innen die Stiftung trias, die auf gemeinschaftliche Wohnprojekte spezialisiert ist. Die Aufnahme ins Mietshäuser Syndikat steht noch aus.
Im Gebäude befinden sich acht Wohnungen, die teilweise leer stehen. Die bisherigen Mieter*innen sind ganz unterschiedliche Leute. Junge Student*innen leben hier neben älteren Menschen, die seit 50 Jahren in ihrer Wohnung sind. Zur Straße zeigen die Schaufenster eines Hörgeräteladens und einer Buchbinderei. Letztere ist ein seit vielen Jahrzehnten bestehender Familienbetrieb, den heute Annette Schrimpf leitet. Sie meint: „Ich hoffe, dass wir mit unserem Projekt Mut machen.“ Man dürfe es aber nicht unterschätzen. Es stecke viel Arbeit dahinter. „Aber es lohnt sich. Man hat die Sicherheit, dass man nicht raus gekündigt werden kann.“
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Mieter*innen-Selbstorganisation: Ein Musterbeispiel für die Neckarstadt?
„Viertel 8“ ist ein aufsehenerregendes, ungewöhnliches Projekt in der sich schnell verändernden Neckarstadt-West. Die Selbstorganisation der Mieter*innen könnte als Musterbeispiel, als Hilf-dir-selbst-Lösung, in Zeiten rasant steigender Mieten betrachtet werden. Daher gab es auch viel Interesse von politischen Initiativen, Stadträt*innen, Medien und dem Mieterverein.
Doch ganz so einfach war und ist die Sache nicht. Hinter dem Hauskauf steckt die große Einsatzbereitschaft Einzelner, berichten Begleiter*innen des Projekts. Es wird viel Know-How benötigt, ein Verein und eine GmbH müssen gegründet werden, ferner sind weitreichende Netzwerke erforderlich, um die vielen notwendigen Kleinkredite aufzutreiben. Das Mietshäuser Syndikat kann helfen, doch die Initiativen müssen auch viel selbst einbringen.
Für die breite Masse der Menschen, die von Verdrängung durch steigende Mieten betroffen sind, wird das Modell des Mietshäuser Syndikats keine realistische Option sein. Zu kompliziert, zu zeitaufwendig und – leider – sind viele Menschen zu vereinzelt, zu isoliert, um sich erfolgreich in kurzer Zeit und auf hohem Niveau selbst zu organisieren. Die Corona-Krise wird dieses Problem noch vergrößern.
Ein staatliches Programm – Wohnungen bauen, Bestandsimmobilien kaufen und fair vermieten – bleibt erforderlich, um der Gentrifizierung in Problemstadtteilen, die zur Vertreibung eines Teils der Bewohnerschaft führt, entgegen zu wirken.
Dennoch stehen Projekte, wie „Viertel 8“, als gut sichtbarer Leuchtturm im Stadtteil. Sie zeigen, dass es Alternativen zum profitorientierten Immobilienmarkt gibt und dass nicht alle Menschen in dieser Gesellschaft nach der kapitalistischen Verwertungslogik handeln. In diesen Hausprojekten ist Wohnen Menschenrecht und keine Ware.
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Der Wettlauf der Mieter*innen eines Wohn- und Geschäftshauses in der Waldhofstraße gegen zahlungskräftige Investoren ist beendet. Eine Erfolgsgeschichte.
In der Neckarstadt geht bei vielen Mieter*innen die Angst um. Seit einigen Jahren erfährt der Stadtteil eine Aufwertung, die Immobilienspekulant*innen anzieht und Mieten nach oben treibt. Immer mehr Menschen können sich die Mietpreise nicht mehr leisten, manche müssen weg ziehen. So war es auch für die Mieter*innen des Wohn- und Geschäftshauses in der Waldhofstraße 8 ein Schock, als sie erfuhren, dass die Besitzerin plante, das Anwesen zu verkaufen.
Es folgten Wochen und Monate der Anspannung, der spontanen Aktivität und Organisierung und ein Jahr später hatten es die Mieter*innen tatsächlich geschafft: Sie konnten das Haus mit Unterstützung zahlreicher Freund*innen, Sympathisant*innen und einer Stiftung kaufen.
Bereits vier Mietshäuser Syndikatsprojekte in Mannheim
Beratend zur Seite standen der Hausgemeinschaft neben dem Mannheimer Mieterverein vor allem Aktive des Mietshäuser Syndikats (i). Dieser dezentral organisierte Zusammenschluss besteht aus bundesweit über 150 Hausprojekten, die in ähnlicher Form durch die Mieter*innen selbst organisiert sind. Sie kaufen ihr Haus mit Hilfe von Kleinkrediten und sind Mieter und Vermieter unisono. Der Dachverband sorgt dafür, dass die Häuser nicht weiterverkauft werden können, verhindert jede Möglichkeit der Immobilienspekulation und sorgt damit für langfristig günstige Mietpreise.
Im Mietshäuser Syndikat sind die Projekte sehr unterschiedlich. Es gibt Altbauten in ostdeutschen Kleinstädten, wo Student*innen für knapp 3 Euro Kaltmiete wohnen und ihr Haus selbst renovieren. Oder es gibt teure Neubauten in Süddeutschland, die mit ihren 10 Euro Kaltmiete immer noch günstiger sind, als vergleichbare Wohnungen auf dem „freien Markt“.
In Mannheim könnte „Viertel 8“ das fünfte Mietshäuser Syndikatsprojekt werden. 2015/2016 zogen die ersten Mieter*innen in den Projekten 13 Hektar Freiheit, SWK und umBAU Turley² auf dem ehemaligen Kasernengelände Turley Barracks ein. Auf dem Franklin Konversionsgelände entsteht zur Zeit das Neubauprojekt Esperanza. Es gibt noch einige weitere Initiativen in verschiedenen Projektphasen.
Acht Wohnungen im Altbau, drei Gewerbeflächen und ein Hinterhof
„Viertel 8“ in der Waldhofstraße ist anders. Hier gab es keinen langwierigen Gruppenprozess, keine ausgiebigen Planungen. Alles musste schnell gehen. Als die Nachricht von der Verkaufsabsicht kam, wurde improvisiert und spontan gehandelt. Es folgten Treffen der Mieter*innen, der Verein Wonnem e.V. wurde gegründet und als das Konzept stand, musste Geld in Form von Kleinkrediten gesammelt werden. Zur Hilfe kam den Mietaktivist*innen die Stiftung trias, die auf gemeinschaftliche Wohnprojekte spezialisiert ist. Die Aufnahme ins Mietshäuser Syndikat steht noch aus.
Im Gebäude befinden sich acht Wohnungen, die teilweise leer stehen. Die bisherigen Mieter*innen sind ganz unterschiedliche Leute. Junge Student*innen leben hier neben älteren Menschen, die seit 50 Jahren in ihrer Wohnung sind. Zur Straße zeigen die Schaufenster eines Hörgeräteladens und einer Buchbinderei. Letztere ist ein seit vielen Jahrzehnten bestehender Familienbetrieb, den heute Annette Schrimpf leitet. Sie meint: „Ich hoffe, dass wir mit unserem Projekt Mut machen.“ Man dürfe es aber nicht unterschätzen. Es stecke viel Arbeit dahinter. „Aber es lohnt sich. Man hat die Sicherheit, dass man nicht raus gekündigt werden kann.“
Mieter*innen-Selbstorganisation: Ein Musterbeispiel für die Neckarstadt?
„Viertel 8“ ist ein aufsehenerregendes, ungewöhnliches Projekt in der sich schnell verändernden Neckarstadt-West. Die Selbstorganisation der Mieter*innen könnte als Musterbeispiel, als Hilf-dir-selbst-Lösung, in Zeiten rasant steigender Mieten betrachtet werden. Daher gab es auch viel Interesse von politischen Initiativen, Stadträt*innen, Medien und dem Mieterverein.
Doch ganz so einfach war und ist die Sache nicht. Hinter dem Hauskauf steckt die große Einsatzbereitschaft Einzelner, berichten Begleiter*innen des Projekts. Es wird viel Know-How benötigt, ein Verein und eine GmbH müssen gegründet werden, ferner sind weitreichende Netzwerke erforderlich, um die vielen notwendigen Kleinkredite aufzutreiben. Das Mietshäuser Syndikat kann helfen, doch die Initiativen müssen auch viel selbst einbringen.
Für die breite Masse der Menschen, die von Verdrängung durch steigende Mieten betroffen sind, wird das Modell des Mietshäuser Syndikats keine realistische Option sein. Zu kompliziert, zu zeitaufwendig und – leider – sind viele Menschen zu vereinzelt, zu isoliert, um sich erfolgreich in kurzer Zeit und auf hohem Niveau selbst zu organisieren. Die Corona-Krise wird dieses Problem noch vergrößern.
Ein staatliches Programm – Wohnungen bauen, Bestandsimmobilien kaufen und fair vermieten – bleibt erforderlich, um der Gentrifizierung in Problemstadtteilen, die zur Vertreibung eines Teils der Bewohnerschaft führt, entgegen zu wirken.
Dennoch stehen Projekte, wie „Viertel 8“, als gut sichtbarer Leuchtturm im Stadtteil. Sie zeigen, dass es Alternativen zum profitorientierten Immobilienmarkt gibt und dass nicht alle Menschen in dieser Gesellschaft nach der kapitalistischen Verwertungslogik handeln. In diesen Hausprojekten ist Wohnen Menschenrecht und keine Ware.
Facebook: Viertel 8 Mannheim
Dieser Artikel erschien auch bei Kommunalinfo Mannheim.
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