Was von Bürgerbeteiligung, dem öffentlichen Raum und einem Integrierten Handlungskonzept im Westwind-Konzept übrig bleibt, analysiert unser Gastautor Gabriel Höfle.
Seit vielen Jahren gibt es soziale Akteure in dem Mannheimer Stadtteil Neckarstadt-West, die dem Quartier trotz der teils problematischen Rahmenbedingungen eine innere Stärke und Entwicklungsperspektive gegeben haben. Trotz der von außen auf den Stadtteil einwirkenden Kräfte, die diesen wie zu letzt bei der Sendung 37-Grad in den medialen Fokus rückten, gelang es, eine Binnenentwicklung einzuleiten, mit der sich große Bevölkerungsteile identifizierten. Als vielfältiges Quartier bietet die Neckarstadt-West eine heterogene Bevölkerungsstruktur, die sich in den letzten Jahren an den partizipativ Stadtteilentwicklungsprozessen beteiligte.
Startschuss für die Immobilieninvestoren
Diese Binnenentwicklung, als auch die Ankündigung der Stadt mittels städtebaulicher Maßnahmen verstärkt die Quartiersentwicklung beeinflussen zu wollen, führte zu einem zunehmenden Interesse bei Immobilieninvestoren. Systematisch wurden und werden zwischenzeitlich Mietshäuser aufgekauft – teilweise zu Preisen, die das 30-fache der Nettojahreskaltmiete überschreiten. Zusätzlich zu diesen Kaufpreisen entstehen meist weitere Kosten für Instandsetzung und Modernisierung. Um derartige Investitionen wirtschaftlich darstellen zu können besteht die Notwendigkeit zeitnaher und deutlicher Mietpreisanpassung zur Verbesserung des sogenannten „Return on Investment“ (ROI)1 Jedoch werden derartige Bestrebungen durch die Mietpreisbremse und der Kappungsgrenze2 eingeschränkt.
Die Lukrativität von Gewerbeflächen
Von diesen reglementierenden Instrumenten ausgenommen sind Mietpreissteigerungen im gewerblichen Sektor. Die für Ladenflächen, Gastronomie, Büros und ähnliche Mietobjekte aufgerufenen Mieten orientieren sich in der Regel an der Kaufkraft des Einzugsgebiets und den zu erwartenden Umsätzen der Gewerbetreibenden. Folglich besteht eine weitere Möglichkeit der Rentabilitätssteigerung in der Verbesserung der Standortattraktivität. Eine derartige Aufwertung birgt nicht nur die Chance erhöhter gewerblicher Mieterträge, sondern trägt mittelfristig zu einer Steigerung des gesamten Immobilienwerts bei.
Damit die Chancen einer optimalen Wertschöpfung der Investitionen steigen, wurden von Seiten eines Hauptinvestors ein Konzept namens Westwind präsentiert, welches aus den Handlungsfeldern „Verkehr“, Öffentlicher Raum“, „Gastro und Einzelhandel“, „Kunst, Kultur & Startups“, „Ökologie“ und „Bürgerbeteiligung“ besteht. Die Anlehnung an ein sogenanntes „Integriertes Handlungskonzept“ scheint hierbei bewusst gewählt worden zu sein, unterscheidet sich aber sowohl von der Entwicklung des Konzepts als auch hinsichtlich der sonstigen formulierten Zielsetzungen fundamental von einem solchen.
Bürgerbeteiliung durch Integriertes Handlungskonzept
Wissenschaftlich betrachtet ist der Begriff „Integriertes Handlungskonzept“[i] klar definiert. Es handelt sich hierbei um ein „räumlich integriertes, ressort- und Akteurs übergreifendes Entwicklungskonzept“, das für Umsetzung von Fördermaßnahmen im Rahmen des Förderprogramms „Soziale Stadt“[i] das zentrale Instrument ist. Prinzipiell sind diese Handlungskonzepte ein Ergebnis eines kooperativen Planungsprozesses. Der integrierte Ansatz, der einem derartigen Konzept zugrunde liegt, fordert die Einbindung aller Akteure in die Prozesse der Erstellung des selbigen ein. Einbindung darf hierbei jedoch nicht nur als Informationsweitergabe oder als Diskurs bezüglich eines an anderer Stelle erarbeiteten und den Akteuren vorgelegten Konzepts verstanden werden. Ein integrierter Ansatz verlangt zwingend die Einbindung aller Akteure und zwar sowohl in den Prozess der Entwicklung des Konzepts, als auch in die Planungs- und Umsetzungsphase der einzelnen Prozesse, der sich aus dem Konzept ergebenen Maßnahmen.
Die ausgeschlossene Bevölkerung
Dem Grundsatz eines integrierten Ansatzes widerspricht Westwind grundlegend in vielfacher Hinsicht. Eine Einbindung aller Akteure war nie gegeben. Stattdessen wurde versucht das Konzept in einen Abstimmungsprozess mit Gemeinde- und Bezirksbeiräte zu einem politisch tragfähigen Konzept weiterzuentwickeln. Die Einbindung aller Akteure wird auf eine Abstimmung über den Verbleib bereits realisierter Maßnahmen nach einer mehrjährigen Erprobungsphase reduziert. Bürgerbeteiligung wird hierbei wie folgt definiert: „Die Projektinitiativen sind zum Teil als Pilotprojekte, auf Zeit und unter Monitoring geplant. Die Bewohner entscheiden über eine Beibehaltung.“ Von einem integrierten Handlungskonzept, welches inzwischen als Standard für ganzheitliche, sozialräumliche Planungsprozesse angesehen wird, kann bei dem Konzept Westwind folglich nicht gesprochen werden.
Öffentlicher Raum sorgt für Zusammenhalt
Eine weitere Betrachtungsebene, die bei der Analyse des vorliegenden Konzepts berücksichtig werden muss, ist die des öffentlichen Raums. Der öffentliche Raum selbst ist der Ort eines Gemeinwesens, in dem die Mitglieder einer Gemeinschaft (sei es ein Dorf, ein Viertel oder eine Stadt) in sozialer Interaktion zueinander treten und somit der Raum, in dem sozialer Zusammenhalt gewährleistet wird. Der öffentliche Raum ist also ein Allgemeingut und muss durch die Gemeinschaft gepflegt werden. Er steht in klarer Abgrenzung zum privaten Raum.
Ökonomische Interessen vor Allgemeingut
Im Rahmen des Konzeptes Westwind wird der öffentliche Raum den Aspekten einer Standortstärkung und ökonomischen Interessen aktueller und zukünftiger Gewerbetreibender angepasst und umgewidmet. Die für die jeweiligen Handlungsfelder dargestellten Grafiken in Form eines Puzzles suggerieren, dass das Gewerbe im Zentrum der Aktivitäten stehen muss und Politik als auch die Immobilienbesitzer Sorgen für die notwendigen Rahmenbedingungen zu tragen haben, damit der zukünftige Konsument – die (zukünftige) Bewohnerschaft des Quartiers, die Angebote nutzt.
Somit verfolgt das Konzept Westwind im Gegensatz zur eigentlichen gültigen Definition des öffentlichen Raums den Grundgedanken, der den sogenannten „Business Improvement Districts“3 zugrunde liegt: die Steigerung des Umsatzes von Gewerbetreibenden, die Steigerung der Rentabilität durch Vermietung von Gewerbeeinheiten und der Werterhalt bzw. die Wertsteigerung des Immobilienbesitzes. Besonders kritisch zu bewerten ist hierbei, dass das vorliegende Konzept die Ergebnisse der bisher stattgefundenen Beteiligungsverfahren nicht aufgreift, sondern diese tendenziell persifliert. Hierfür seien folgende Beispiele angeführt.
Beispiel Neckarwiese
Ziel der Vergangenheit war es, in dem dicht bebauten Quartier einen Ort für alle Neckarstädter*innen zu schaffen, der ihnen niederschwellig Aufenthaltsqualität und Naherholung bietet. In einem lang andauernden, partizipativen Prozess wurde 2017 hierfür ein abschließendes Nutzungskonzept entworfen. Westwind sieht in der Neckarwiese einen ökonomisierten Ort, in dem Eigentümer als Investor und Gewerbetreibende als Akteure auftreten, die „Flächen bespielen“ und „für Ordnung und soziale Kontrolle“ sorgen.
Bespiel Neumarkt
Auch hier gibt es ein mittels Beteiligungsverfahren erarbeitetes Nutzungskonzept, welches die Stadt in der Verantwortung sieht, den zentralen Platz im Quartier als Ort der Begegnung neu zu gestalten. Westwind betrachtet diesen Platz aus der Perspektive der Lutherstraße und sieht für diese eine Beruhigung vor, in dem Eigentümer attraktive Flächen schaffen, welche er oder seine gewerblichen Mieter wiederum bewirtschaften kann.
Beispiel Kiosk Dammstraße
Vergleicht man das Vorgehen der Stadt bzw. LOS bei der Konzeptionserstellung des angedachten Kiosks an der Dammstraße, Höhe Alphornstraße, so wird die Ökonomisierung des öffentlichen Raums deutlich. Im Gegensatz zum Kulturkiosk, welcher in Rahmen eines Beteiligungsverfahrens am Neumarkt entstand, wurde hier beim Planungsprozess die Bewohnerschaft ausgeschlossen und zugleich ein privater Investor, welcher bereits im größeren Umfang auch Immobilien in der Neckarstadt-West erworben hat und an dem Konzept Westwind federführend mitwirkte, mit der Errichtung des Kiosks in einem freihändigen Vergabeverfahren, also ohne öffentliche Ausschreibung, beauftragt.
Ausverkauf des öffentlichen Raums?
Der öffentliche Raum wird de facto ökonomischen Interessen unterworfen. Vormals öffentlicher Raum muss sich in Folge privatem Hausrecht unterordnen. In einer kritischen Betrachtung kann auch die These gestellt werden, dass die Ausrichtung der politischen Steuerung des öffentlichen Raums auf die Interessen privater Investoren ausgerichtet ist. Der öffentliche Raum wird zum Marktplatz, Orte der Begegnung zu Orten des Konsums. Die eigentlichen Profiteure dieses Ansatzes sind folglich die Immobilienbesitzer.
Gabriel Höfle ist seit Mai 2011 geschäftsführender Vorsitzender des Mietervereins Mannheim sowie Dozent für Quartiermanagement und soziale Stadtteilentwicklung. 13 Jahre lang leitete er das Quartiermanagement Neckarstadt-West, bevor er als Koordinator Soziale Stadtteilentwicklung zur Stadt Heidelberg wechselte.
Er studierte Wirtschaftsingenieurswesen an der Hochschule Mannheim und Ingenieurspädagogik an der TH Karlsruhe. Von September 2012 bis Februar 2016 war er als Dozent für Quartiermanagement an der Hochschule Mannheim tätig. Seit Januar 2020 ist er Gast-Dozent an der Universität Mainz für Soziale Stadtteilentwicklung / Quartiermanagement und hält darüberhinaus diverse Gastvorträge zu den Themen Soziale Stadtteilentwicklung, Quartiermanagement, Segregation.
- Der Return on Investment (ROI) ist eine Kennzahl, die das Verhältnis zwischen Gewinn und investiertem Kapital angibt. Sie wird häufig als Maßstab für die Leistung und die Rentabilität eines Unternehmens oder Geschäftsbereichs verwendet. Da der ROI unabhängig von der Größe des analysierten Geschäftsbereiches ist, macht er einen Vergleich zwischen unterschiedlich großen Einheiten möglich. Quelle: wirtschaftslexikon24.com ↩
- Will der Vermieter die Miete erhöhen, muss er zwei Grenzen beachten: die ortsübliche Vergleichsmiete und die Kappungsgrenze. Der Vermieter darf die Miete innerhalb von drei Jahren um nicht mehr als 20 Prozent erhöhen, auch wenn die ortsübliche Vergleichsmiete noch nicht erreicht ist. Quelle: finanztip.de/kappungsgrenze ↩
- Ein Business Improvement District (BID) (auch Innovationsbereich, Immobilien- und Standortgemeinschaften (ISG), Innerstädtische Geschäftsquartiere (INGE), Partnerschaften zur Attraktivierung von City-, Dienstleistungs- und Tourismusbereichen (PACT)) ist ein räumlich klar umrissener Bereich, in denen die Grundeigentümer und Gewerbetreibenden gemeinsam versuchen sollen, die Standortqualität durch Maßnahmen zu verbessern, die aus dem Aufkommen einer selbst auferlegten und zeitlich befristet erhobenen Abgabe finanziert werden. Die rechtliche Grundlage für BIDs in Deutschland schaffen die BID-Gesetze der Länder. Ziel der BIDs ist die Werterhaltung der Immobilien und die Steigerung des Umsatzes. Hierzu soll der sie umgebende privatisierte Raum kundenfreundlicher gestaltet werden und ergänzende Marketing- und Serviceleistungen erbracht werden. Zentrales Prinzip von BIDs ist das eigenverantwortliche Handeln der Akteure vor Ort. Von ihnen geht zumeist die Initiative zur Gründung von BIDs aus. Sie organisieren einen nicht selten mehrere Jahre dauernden Entscheidungsprozess, in dem sie sich auf ein Maßnahmen- und Finanzierungskonzept und auf einen Aufgabenträger verständigen, der das Konzept während einer mehrjährigen BID-Laufzeit umsetzt. Quelle: Wikipedia ↩
Sehr guter Beitrag! Wirklich traurig, was hier gerade passiert.