Stadtentwicklung

Bürgerbeteiligung bei Kiosk nicht eingeplant

Ein Gastkommentar von „FairMieten – Gegen Mietwucher in der Neckarstadt“ zur Präsentation des neuen Kiosks am 29.07.2020.

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Zum Thema „Westwind“ sind bereits einige Artikel und Kommentare erschienen. Wir möchten in unserem Kommentar auf einige besondere Aspekte des Termins eingehen, der am 29.07.2020 stattfand. An diesem Tag wurde ein Bauvorhaben vorgestellt, welches sich ebenfalls im „Westwind“-PDF wiederfindet, jedoch nicht ausschließlich von den „Westwind“-Akteuren geplant wurde, sondern höchst offiziell unter „Regie“ der Lokalen Stadterneuerung (LOS – initiiert von der Stadt Mannheim und MWSP) bzw. „von der Stadt bestellt“.

Stadtteilentwicklung stets mit den gleichen Unternehmern

Das Vorhaben ist ein kommerzieller „Kiosk“ bzw. Bistro im öffentlichen Raum in direkter Nähe von Wohnhäusern an der Ecke Dammstraße / Alphornstraße. Es wurde bereits seitens der Stadt – ohne öffentliche Ausschreibung – genehmigt.

Involviert sind hier Mitglieder des „Gewerbevereins Neckarstadt-West / Jungbusch“ (inkl. Quintus Gastro GmbH – Gastronomen aus Häusern von Hildebrandt & Hees), das Architekturbüro Yalla Yalla, und Hildebrandt & Hees (Thor) selbst. Die Zusammenarbeit dieser Akteure ist bereits aufgefallen durch die Zweckentfremdung von Wohnraum in der Lutherstraße 25 am Neumarkt, und seitens (bisher alleinig) Hildebrandt & Hees / Thor in einem weiteren Haus in der Lutherstraße 21a.

Direkt neben einem Spielplatz geplant, soll am Kiosk auch Alkohol ausgeschenkt werden – eine Doppelmoral? Am Neumarkt herrschte monatelang ein Alkoholverbot aufgrund der angeblichen Nähe zum dortigen Spielplatz.

Zu dem Präsentationstermin des Kiosks, welcher lediglich auf der Facebook-Seite vom Netzwerk Wohnumfeld „öffentlich“ kommuniziert wurde, erschienen zahlreiche interessierte Bürger*innen, die ihre Fragen sowie Kritik äußerten – sie wurden jedoch vor vollendete Tatsachen gestellt. Bürgerbeteiligung und Transparenz? – Fehlanzeige. Die Kritik der nicht Eingeladenen war vielseitig, besonders von direkten Anwohner*innen, denen man ungefragt eine Gastronomie vor ihr Schlafzimmerfenster setzt.

Politik sieht Informationspflicht bei den Bürger*innen

Seitens der Mannheimer Politiker*innen wurde an diesem Termin mehrfach darauf hingewiesen, dass man sich als Bürger*in ja hätte informieren können. Ganz besonders wurde man auf die Bezirksbeiratssitzungen verwiesen. Dort könne man als Bürger*in teilnehmen, und „mitgestalten, bevor die Sachen entschieden werden“, so auch die neue Quartiermanagerin Jennifer Yeboah (MWSP).
Unsere Erfahrung widerspricht diesen Aussagen. Als langjährig engagierte Menschen im Stadtteil haben diverse Aktive von FairMieten bereits an einigen Bezirksbeiratssitzungen in Neckarstadt-Ost wie -West teilgenommen. Man geht hin, hört zwei bis vier Stunden zu und darf als Bürger*in dann ganz am Ende in einem sehr begrenzten Zeitraum Fragen und Anmerkungen loswerden, unter Nennung des Namens – „für’s Protokoll“. Etwaige Kritik wird zwar gehört, aber der Erfahrung nach wird nichts aufgegriffen oder umgesetzt.

Mündliche Berichte vor weitgehend leeren Reihen

Der von Petar Drakul (persönlicher Referent von OB Kurz, SPD) erwähnte regelmäßige „Bericht der Lokalen Stadterneuerung“ findet dort oft lediglich mündlich statt. Wer die Webseite buergerinfo.mannheim.de („Stadt Mannheim Informationssystem für Bürgerinnen und Bürger)“ kennt, weiß, dass es einem nicht gerade einfach gemacht wird, an die passenden Informationen zu gelangen. Zum mündlichen Bericht der LOS, der am 09.05.2018 die Präsentation der Gesamtkonzeption Neckarvorland beinhaltet haben soll, finden sich jedenfalls keinerlei Unterlagen. (Anm. d. Red.: gegen erheblichen Widerstand konnte nach über einem Jahr Diskussionen und unter Einschaltung des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ein Protokoll der betreffenden Sitzung für die Öffentlichkeit erstritten werden.)

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Protokolle der Bezirksbeiratssitzungen werden nicht veröffentlicht, sondern können nur von einzelnen Bürger*innen auf Anfrage in einer Dienstelle eingesehen werden | Quelle: IFG-Antrag

Protokolle nicht öffentlich

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Protokolle der Bezirksbeiratssitzungen werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Es wurden lediglich eine Zeit lang „Berichte“ aus den Bezirksbeiratssitzungen auf mannheim.de eingepflegt – zuletzt aus einer Sitzung in Neckarstadt-Ost aus dem März 2018, Neckarstadt-West: September 2017, Jungbusch / Innenstadt: Juli 2017.

Es wird hier mehrfach eine Transparenz und Teilhabe herbei geredet, die so nicht existiert.
Als seien die Bürger*innen selbst Schuld, wenn sie vor vollendete Tatsachen gestellt werden – so wie hier bei einem Projekt, bei dem offensichtlich von Beginn an keine Bürgerbeteiligung geplant war, und welches erst bei einer Bezirksbeiratssitzung im Februar 2020 bekannt gegeben wurde (Artikel hinter der Bezahlschranke).

Sollten die Bezirksbeiratssitzungen als Mitspracheinstrument für Bürger*innen nutzbar sein, so ist eine Überarbeitung von Ablauf und Rahmen dringend notwendig.

Diskreditierung von Bürgerinitiativen

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Der ehemalige SPD-Bezirksbeirat Florian Kling hielt nichts von bürgerlichem Engagement | Screenshot: Twitter

So manche*r Mannheimer Politiker*in schien sich zu wünschen, dass Bürgerinitiativen wie das „Offene Stadtteiltreffen Neckarstadt (Ost & West)“, abgekürzt OST, von „oben“ steuerbar werden, und nur noch in einem städtisch kontrollierbaren Rahmen aktiv sind. Engagement wurde von Politikseite oft diskreditiert (siehe auch Hausbesetzung #Hafen66), oder es wurde gar von Stadträtin Isabel Cademartori (SPD) angenommen, das OST sei ein Projekt einer einzelnen Person (beim Termin am 22.07.2020). Wohlgemerkt, das OST gibt es seit mehr als zwei Jahren.

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Bezirksbeirat statt Ordnungsdienst und Polizei?

Auch Thomas Meier (Vorsitzender SPD Neckarstadt-West) warb für den Besuch der Bürger*innen beim Bezirksbeirat. Er erwarte bei Problemen mit dem neuen Kiosk, „dass ihr euch nicht bei der Polizei beschwert, sondern einfach dann zum Bezirksbeirat kommt“, „und könnt auch gerne den Herrn Drakul anschreiben.“

Dass die Anwohner*innen bei zu erwartenden nächtlichen Ruhestörungen durch den „Kiosk“ Politiker anstatt KOD oder Polizei rufen sollen, klingt wie ein absurder Vorschlag von stadtpolitischer Seite.

Drakul stellt Betroffene von Rechtsverstößen als Jammerer dar

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Petar Drakul (SPD), persönlicher Referent des Oberbürgermeisters | Foto: M. Schülke

Herr Drakul war, wie er an diesem Tag sagte, tatsächlich einmal beim OST, und zwar am 14.06.2019: „Ich war auch schon im offenen Netzwerk, wie heisst das mit dem Wohnen?“, woraufhin jemand das OST erwähnte. Drakul berichtete, Bürgerinnen und Bürger hätten sich dort „beklagt“, „dass sie im Prinzip Mieterhöhungen bekommen“. Damals ging es allerdings nicht darum, dass Leute sagten „wir haben eine Mieterhöhung“, sondern konkret um die Tatsachen, dass der Partner der Stadt im Sanierungsgebiet, Hildebrandt & Hees (Thor), erstens eine unrechtmäßige Mieterhöhung an BewohnerInnen eines Hauses verschickt hatte, und zweitens eine unrechtmäßige Modernisierungsankündigung – hier lagen klare Rechtsverstöße vor. Die Bewohner*innen hatten sich an FairMieten und an das OST gewandt. Herr Drakul bot auf diesem OST ebenfalls an, zu vermitteln. Ohne anwaltliche Hilfe wäre die Sache allerdings schnell verloren gewesen.

Nicht jeder erkennt, dass diese zwei Schreiben, in denen es zweifach um eine Erhöhung der Miete, sowie um eine Ankündigung von umfangreichen Bauarbeiten ging, in diesem Fall unrechtmäßig waren. Solche Schreiben sind Standard nach manchen Hauskäufen, und ein Grund für viele Menschen auszuziehen. Aus einer Wohnung, die zu 4 bis 6 Euro kalt angemietet war, und die nach Sanierung / Renovierung für 11 bis 14 Euro kalt vermietet wird. Herr Drakul hat sich sehr vereinfachend ausgedrückt, was dieses spezielle OST anging.

Statt professioneller Rechtsvertretung soll Quartiermanagement helfen

Er sagte auch, dass bei Kündigungen durch Hildebrandt & Hees das Quartiermanagement interveniert – dass aber viele MieterInnen mehr oder weniger freiwillig das Feld räumen, sobald nach dem Hausverkauf die 20-prozentige Mieterhöhung im Briefkasten ist, gefolgt von einer Modernisierungsankündigung, ist Realität in vielen Häusern.

Entmietung, Leerstand, Mieterhöhung

Sanierung oder Modernisierung ist unbestritten in so mancher Immobilie notwendig, jedoch sollte sie nicht als Mittel der Vertreibung von Altmieter*innen missbraucht werden. Wir erlauben uns den Hinweis auf die Tatsache, dass viele Hausbesitzer*innen ihre Immobilie jahrzehntelang einfach nicht instand halten und Wohnungen nach Auszug von Mietparteien nicht weiter vermieten, so dass der Leerstand als attraktives Lockmittel für kaufwillige Investoren missbraucht wird. So geschehen in der Oberen Clignetstraße 16 sowie in der Käfertaler Straße 89 in Neckarstadt-Ost. Im ersten Fall bieten Hildebrandt & Hees nach Kauf des jahrelang zu einem Drittel leerstehenden Hauses „Neuvermietung nach Renovierung“ zu über 14 Euro kalt an und im zweiten Fall Nikolas Löbel (CDU) für 14 Euro kalt pro Quadratmeter je Wohnung (kernsaniert), oder knapp 30 Euro pro qm als möblierte Zimmer an Studierende. Wie kürzlich bekannt wurde, vermietet er auch an eine Firma, die ihrerseits AirBnB-Vermietungen tätigt (Artikel hinter Bezahlschranke).

Ausländische Mieter*innen konnten nicht bleiben

Ein Mitglied von FairMieten hatte 2018/2019 das an Hildebrandt & Hees verkaufte Haus in der Lutherstraße 25 besucht. Dort wohnten viele Bulgaren, die sagten „alle ziehen aus“. Mehr Infos gab es nicht, jedoch bald darauf seitens Hildebrandt & Hees Wohnungsinserate im „Szeneviertel“ für 11,67 Euro im Jahr 2019 und im Jahr 2020 bereits für 13,13 Euro.

Wir erinnern uns an eine Präsentation im Jahr 2017 im Bezirksbeirat Neckarstadt-West, in der berichtet wurde, dass auf dem Neckarvorland auf Höhe der Alphornstraße, wo nun das Bauvorhaben „Kiosk“ stattfinden soll, ursprünglich eine „Oase der Ruhe“ vorgesehen war – hier wurde 2017 unter Bürgerbeteiligung vom damaligen Quartiermanagement eine umfangreiche Konzeption für das Neckarvorland erstellt.

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Die unter Bürgerbeteiligung vom Quartiermanagement erstellte Konzeption für das Neckarvorland sah auf Höhe der Alphornstraße eine „Oase der Ruhe“ vor | Bild: Quartiermanagement Neckarstadt-West

Drakul widerspricht Ergebnissen des Bürgerbeteiligungsprozesses

Herr Drakul sagte beim Präsentationstermin am 29.07.2020, das Bauvorhaben „Kiosk“ bzw. „kleines Cafe“ oder „Gastronomie“ sei seit 2017 in Planung, „das ist alles nichts Neues.“ Wie sich dieses Ruhezonen-Vorhaben so derart ins Gegenteil wandeln konnte, wurde nicht erklärt.

Angebote für Kinder schaffen keine bezahlbaren Mieten

Dass die LOS auch positive Projekte gestaltet, streiten wir nicht ab, und haben auch nie behauptet, alles was seitens LOS / MWSP initiiert wird, sei negativ. Als FairMieten und als OST liegt in unserem Interessensbereich jedoch vorrangig das Thema Wohnen / Mieten, und somit auch die Themen unbezahlbares Wohnen, Gentrifizierung, Vertreibung von Bewohner*innen durch vermeintliche „Aufwertung“ und „Durchmischung“ seitens der Stadt Mannheim, und im Besonderen seitens der Stadt Mannheim in offizieller Zusammenarbeit mit einem einzelnen – preistreibenden gewinnorientierten – Immobilienunternehmen. Dieser Hauptkritikpunkt ist nicht kleinzureden, indem man von Politikerseite bzw. LOS / MWSP auf geschaffene Angebote für Kinder und Jugendliche hinweist, vor allem nicht, wenn diese in einigen Jahren als Erwachsene in ihrem Viertel keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden werden.

Exklusive Partnerschaft mit dem Investor läuft seit Jahren

Reinhold Götz (wohnungspolitischer Sprecher der SPD) sagte, er würde sich nicht „persönlich sozusagen in ein Boot mit einem Investor setzen“, das solle das Quartiermanagement und der Bezirksbeirat übernehmen. Daraufhin rief ein Anwohner: „Ihr sitzt doch mit Hildebrandt & Hees in einem Boot!“.

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Ziel der Vereinbarung ist es u.a., das Klima für den Investoren zu verbessern | Quelle: LOS-Bericht

Wir schließen uns den Worten einiger Redner*innen an diesem Tag an: Die „Aufwertung“ geht an der Lebensrealität vieler BewohnerInnen vorbei, und betriebswirtschaftliche Interessenten, Investoren oder Gastronomen haben nicht die Aufgabe der „sozialen Kontrolle“ inne. Die bestehenden Probleme des Stadtteils löst man nicht mittels Gentrifizierung, sie werden, wie im Jungbusch, weiterhin bestehen oder lediglich verschoben. 14 Euro Kaltmiete und Zweckentfremdung von Wohnraum zugunsten schicker Gastronomie verschärfen problematische Lagen für die aktuelle Bewohnerschaft noch zusätzlich.

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