Die SoHo-Turley-Blase ist geplatzt. Recherchen zeigen, dass Tom Bocks Niedergang direkt mit der Aufdeckung des 1MDB-Skandals zusammenhängen könnte.
Es begann mit einer 30 Millionen US-Dollar Überweisung am 29. Mai 2012. Bis Dezember 2012 folgten noch weitere Überweisungen, bis letztlich 55 Millionen US-Dollar bei der BHF-Bank in Frankfurt auf ein Konto einer Rayan Inc. eingegangen waren.
Die 55 Millionen US-Dollar stammten aus den etwa 1,36 Milliarden US-Dollar, die Mohamed Ahmed Badawy Al-Husseiny zusammen mit seinem Partner Khadem Abdulla Al-Qubaisi betrügerisch aus dem malayischen 1MDB-Staatsfonds zweckentfremdet hatten. Die beiden Fondsmanager aus den Vereinigten Arabischen Emiraten hatten die malayischen Gelder über diverse internationale Bankverbindungen und Offshore-Konten auf ihre privaten Konten umgeleitet.
Ermittlungen in den USA
So auch die 55 Millionen US-Dollar, die 2012 bei der BHF-Bank in Frankfurt landeten. Begünstigter des dortigen Rayan-Kontos war Al-Husseiny, soweit belegen es Ermittlungsergebnisse des amerikanischen FBI, die seit 2019 zu mehreren Anklagen beim amerikanischen Department of Justice geführt haben. Al-Husseiny wie auch Al-Qubaisi wurden 2019 schon in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu zehn- und 15jährigen Haftstrafen wegen Veruntreuung verurteilt.
Was mit Al-Husseinys 55 Millionen US Dollar bei der Frankfurter BHF-Bank damals passierte, ist indes nicht eindeutig belegbar. Diverse Anfragen hierzu in Malaysia, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA sowie in der Schweiz und auch in Deutschland blieben unbeantwortet. Dabei ist eines jedenfalls klar: Die Gelder wurden nicht zufällig nach Frankfurt transferiert und blieben auch nicht auf dem Konto liegen. Sie wurden vielmehr gewinnbringend investiert.
Investment Turley
Der ebenfalls in Frankfurt ansässige Bauunternehmer Thomas Egon Bock, der auch gerne Tom Bock genannt werden will, könnte Abnehmer der 55 Millionen Dollar gewesen sein. Der hatte zur selben Zeit die Idee, die ehemalige US-Kaserne Turley in Mannheim zu einem modernen neuen Stadtteil in Anlehnung an das trendige New Yorker Viertel SoHo zu entwickeln. 100 Millionen wollte er in Mannheim investieren, so seine damaligen Pläne.
Im Oktober 2012 wurde er mit der Stadt Mannheim handelseinig: Die Stadt Mannheim gründete wenige Monate zuvor noch schnell die eigene Entwicklungsgesellschaft MWSP, die umgehend die nach dem Abzug der amerikanischen Truppen aus Mannheim freigewordenen Flächen von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben kaufte, um sie dann an Tom Bock beziehungsweise an seine Firmen weiterzuverkaufen.
Elf von 14 der denkmalgeschützten Gebäude auf Turley übernimmt Bock 2012, zudem noch das Baufeld IV auf dem ehemaligen Parkplatz der Kaserne. Schon 2013 verwandelt sich die brachliegende ehemalige Kaserne in eine Großbaustelle, auf der alte Bausubstanz saniert wird und dazwischen neue moderne Gebäude entstehen. Ende 2014 werden die ersten Objekte bezugsfertig, die ersten Firmen ebenso wie Bewohner ziehen auf Turley ein.
Der Betrug fliegt auf
Im Februar 2015 fliegt der 1MDB-Skandal auf, nach und nach wird bekannt, dass aus dem malaysischen Staatsfonds 1MDB mehr als 4 Milliarden Dollar unterschlagen und abgezweigt wurden. Weltweit laufen Ermittlungen und Untersuchungen an, wenige Monate später werden mit Al-Husseiny und Al-Qubaisi zwei Hauptverantwortliche ausgemacht – und verhaftet.
Zur selben Zeit werden auf Turley in Mannheim plötzlich auch ein Großteil der Bauarbeiten eingestellt: Halbfertige Neubauten werden nicht mehr weitergebaut und die begonnenen Sanierungen von Altbauten vom einen auf den anderen Tag eingestellt.
Dass Tom Bock etwas mit dem 1MDB-Skandal zu tun haben könnte, ist nicht erwiesen. Doch es gibt Parallelen, Anzeichen und Auffälligkeiten, die dafür sprechen. Mehrere Anfragen zu diesem Thema ließ Tom Bock unbeantwortet, auch ausgemachte Termine zu Gesprächen hielt er nicht ein. Am Telefon im Oktober 2022 wirkt der Stadtentwickler, Lebenskünstler und Gourmet Thomas Egon Bock vielmehr nervös und dünnhäutig, fast schon ängstlich.
Die Spur führt nach Malaysia
Ob er schon 2012 gewusst hat, dass er mit gestohlenen Geldern aus Malaysia in Mannheim das Turley-Quartier entwickelt, ist nicht bekannt. Fakt ist aber, dass die ehemalige Ehefrau von Al-Husseiny, Suaad A. Al-Attas, ab 2013 zur Hälfte an einer von Bocks Turley-Firmen beteiligt gewesen ist und für das Turley-Projekt einen Kredit von 5,3 Millionen Euro bereitstellte. Fakt ist auch, dass zuvor 17,5 Millionen Dollar an gestohlenen 1MDB-Geldern aus Malaysia auf dem deutschen Privatkonto von Al-Attas gelandet sind: Bei der BHF-Bank in Frankfurt.
Dass wegen einem 5 Millionen Euro-Kredit ein ganzes Bauprojekt im projizierten Volumen von 100 Millionen Euro ins Wanken geraten sein soll, ist unwahrscheinlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die ebenfalls bei der BHF-Bank gelandeten 55 Millionen Dollar von Al-Husseiny für Bock und sein Turley-Projekt bestimmt waren. Das gleichzeitige Auffliegen des 1MDB-Skandals in Malaysia und die Verhaftung von Al-Husseiny in den Vereinigten Arabischen Emiraten stände damit im Zusammenhang mit dem Baustopp auf Turley in Mannheim: Spätestens da dürfte Bock bekannt gewesen sein, dass er ein 55-Millionen-Problem auf Turley in Mannheim hat. Denn die dort investierten Gelder waren sehr wahrscheinlich zuvor in Malaysia gestohlen worden.
Der Cavalletto Social Club für Menschen in Not
Spätestens Ende Mai 2015 ist Thomas Egon Bock klar, dass sein 55-Millionen-Problem existenzgefährdend werden wird. Mit seinem Faible für vielsagende Firmennamen lässt Bock am 1. Juni 2015 die Cavalletto Social Club GmbH & Co. KG ins Handelsregister Mannheim eintragen. Umsätze wird Bock mit dieser Firma nicht machen, vielmehr ist die Firma als Statement seiner Situation zu verstehen. Der Geschäftszweck des Cavalletto Social Club ist gemäß Handelsregisterauszug die „Unterstützung von Menschen, die ohne eigenes Verschulden in Not geraten sind.“
Bock hat zudem offenbar Angst vor Zwangsmaßnahmen und lässt schon im August 2015 Grundschulden für bereits erbrachte Bauleistungen zugunsten seiner eigenen Firma im Grundbuch eintragen. Sollte es zu einer Beschlagnahmung oder Zwangsvollstreckung kommen, hätte seine Firma Anspruch auf die im Grundbuch eingetragene Grundschuld von mehreren Millionen Euro plus Zinsen.
Fehlende Geschäftsabschlüsse verschleiern die Insolvenz
Wie sehr seine Not ist oder sein wird, lässt sich zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr genau beziffern: Denn für 2015 veröffentlicht Bock für keine einzige seiner vielen Turley-Firmen einen Geschäftsabschluss, obwohl er dazu verpflichtet ist. Für viele seiner Firmen wird er überhaupt keinen jährlichen Geschäftsabschluss mehr veröffentlichen. Möglicherweise hätte er mit dem Ausfall seines 55 Millionen Darlehens von Al-Husseiny und der richtigen Bilanzierung bereits 2015 Insolvenz anmelden müssen. Mit der Nichtveröffentlichung seiner Geschäftszahlen hatte er so wahrscheinlich den tatsächlichen finanziellen Zustand und die Insolvenz verschleiern können.
Doch von all den Problemen bekommen die lokalen Beteiligten offenbar nichts mit – oder wollen nichts mitbekommen. Dabei wohnt der Geschäftsführer der MWSP, Joachim Judt, seit August 2014 selbst in einem der neu sanierten Häuser auf Turley und sieht damit täglich, was auf Turley passiert (oder nicht passiert). Der Stillstand auf den Baustellen hält ihn und die MWSP jedenfalls nicht davon ab, an Bock noch im Oktober 2015 das Baufeld V zu verkaufen. Auch gehen viele Eigentümerwechsel mit dem Eintrag ins Grundbuch rechtlich erst Ende 2016 an Bock über, die MWSP hätte also noch viel Zeit gehabt, zu intervenieren.
Millionekredite für ruhende Baustellen
Auch bei der Sparkasse Rhein-Neckar Nord sieht und erkennt man die Probleme auf Turley offenbar nicht: Noch im Juni 2016 vergibt sie einen weiteren Millionenkredit an Bocks Turley-Firmen, als Sicherheit wird die Reithalle belastet. Und das, obwohl dort schon seit Jahren die Arbeiten ruhen. Am Ende werden es über 30 Millionen Euro sein, mit denen die Sparkasse (und andere Kreditinstitute) Turley mitfinanziert haben.
Auch dass sich Bock im Jahre 2017 über das Crowdinvestment noch 2,5 Millionen Euro beschafft, um eines seiner Objekte fertig zu sanieren und verkaufen zu können, zeigt, wie schlecht es um seine Finanzen stehen muss. Auch das ist offensichtlich kein Warnsignal für die MWSP.
Das Rechtshilfeersuchen und neue Gelder
Zu dieser Zeit versucht der Staat Malaysia als Eigentümer des 1MDB-Fonds bereits weltweit, das ihr veruntreute und gestohlene Geld sowie damit erworbene Vermögenswerte zurückzuerlangen. Auch für die nach Deutschland transferierten Gelder interessiert sich Malaysia: Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt bestätigt, dass es in dieser Sache ein Rechtshilfeersuchen gegeben hat. Weitere Details nennt sie nicht.
Bock schafft es offenbar noch, die zurückverlangten Gelder mit anderen neuen Krediten zu ersetzen. Der vermögende Schweizer Geschäftsmann und Investor Norbert Ketterer springt offenbar ein.
Als Bock im Herbst 2018 schließlich die Baufelder IV und V verkauft (oder verkaufen muss), werden die fälligen 36 Millionen Euro vom neuen Eigentümer Fortoon jedenfalls an Ketterer überwiesen. Und im darauffolgenden Jahr tritt Bock zudem die zugunsten seiner Firma eingetragenen Grundschulden in Höhe von 7 Millionen Euro an die HFS Helvetic Financial Services AG ab: Die Firma gehört Ketterer. Zusammengerechnet erhält Ketterer damit 43 Millionen Euro von Bock, das sind auf der Basis des Wechselkurses von 2012 etwa 56 Millionen US-Dollar – das entspricht in etwa dem ursprünglichen Betrag, den Al-Husseiny auf das Rayan-Konto überwies.
Bocks Helfer wird Großaktionär
Für den Multimillionär Ketterer hat sich der Deal mit Bock in doppelter Hinsicht gelohnt: Im Oktober 2019 übernimmt er 3 Prozent an der Schweizer Baufirma Implenia AG, im November sind es bereits 5 Prozent, im März 2020 wird er Großaktionär mit mehr als 10 Prozent der Anteile: Das entspricht einem Börsenwert von etwa 60 Millionen Euro. Dass die Implenia in Mannheim aktuell auf den von Bock verkauften Baufeldern baut, könnte Teil des Deals gewesen sein.
Doch so ganz glücklich ist Fortoon mit den Baufeldern nicht: Denn Bock verschwieg beim Verkauf bestehende Altlasten. So sind 126 Parkplätze vorzuweisen, die nun fehlen. Aus diesem Grund wird daher erstmal nur ein Teil der Baufelder bebaut, die unbebaute Fläche wird als Parkplatz verwendet. Turley bleibt damit wohl noch eine Weile Großbaustelle.
Quellen: immobilienpool.de, Handelsregister, U.S. Department of Justice, Grundbuchamt Mannheim, eigene Recherchen