OB Specht plant, den ohnehin schon schwachen Bezirksbeiräten noch mehr Einfluss zu nehmen. Auf Kosten von Transparenz und Bürgernähe.
Im offenen Brief an Oberbürgermeister Christian Specht schlagen die Bezirksbeiräte von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alarm. Geplant ist eine weitreichende Änderung der Geschäftsordnung der Bezirksbeiräte, die deren Einfluss weiter schwächen könnte. Dabei haben die Beiräte, die in erster Linie beratende Funktion für den Gemeinderat ausüben, ohnehin nur begrenzte Möglichkeiten, auf politische Entscheidungen in Mannheim Einfluss zu nehmen. Nun befürchten die Grünen, dass diese ohnehin schon eingeschränkte Rolle weiter ausgehöhlt und damit die Transparenz und Bürgernähe verloren gehen könnten.
Vorberatung im Bezirksbeirat könnte entfallen
Ein besonders kritischer Punkt betrifft § 5 der Geschäftsordnung. Geplant ist, dem Oberbürgermeister die Möglichkeit zu geben, auf die Vorberatung im Bezirksbeirat zu verzichten, wenn ein Thema bereits im Gemeinderat behandelt wird. Dies könnte laut Verwaltung dazu führen, dass Doppelarbeit vermieden wird. Die Bezirksbeiräte der Grünen sehen jedoch ein großes Problem darin: Viele Themen betreffen die Stadtbezirke direkt und sollten daher vor Ort diskutiert werden. Indem diese Vorberatungen umgangen werden, verliere man eine zentrale Möglichkeit, Anliegen aus den Bezirken in die Stadtpolitik einzubringen. Der direkte Austausch zwischen Bürger*innen und Bezirksbeiräten würde dadurch deutlich erschwert.
Gefahr für die öffentlichen Sitzungen
Auch die Neuregelung in § 11 stößt auf scharfe Kritik. Laut der geplanten Änderung soll der Bezirksbeirat nur dann einberufen werden, wenn es die “Geschäftslage” erfordert – und das unabhängig davon, ob die Sitzung öffentlich oder nicht-öffentlich ist. Während die Verwaltung dies als pragmatische Lösung zur Entlastung der Beiräte darstellt, sehen die Grünen hier die Gefahr, dass öffentliche Sitzungen deutlich reduziert werden könnten. Öffentliche Sitzungen sind nicht nur ein Ort der Diskussion, sondern auch eine wichtige Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger, sich frühzeitig in kommunale Entscheidungsprozesse einzubringen. Wenn diese Treffen seltener werden oder verstärkt nicht-öffentlich stattfinden, würde der Draht zur Bevölkerung, so die Bezirksbeiräte, endgültig abreißen.
Entscheidungen per E-Mail: Schwächung der Debatte?
Die geplante Flexibilisierung in § 6, wonach Abstimmungen über die Entsendung von Bezirksbeiratsmitgliedern in Ausschusssitzungen künftig auch per E-Mail erfolgen können, wird ebenfalls kritisch gesehen. Zwar erkennt die Verwaltung darin eine notwendige Anpassung an die Praxis, doch die Grünen fürchten, dass dadurch die Qualität der demokratischen Auseinandersetzung leidet. Abstimmungen per E-Mail könnten den direkten Diskurs im Gremium ersetzen und wichtige Diskussionen ins Abseits drängen. Der persönliche Austausch in Sitzungen sei unverzichtbar, um alle Argumente ausreichend zu beleuchten und gemeinsame Standpunkte zu entwickeln.
Vorsitz unter Spechts Kontrolle
In § 2 der Geschäftsordnung ist vorgesehen, dass der Vorsitz im Bezirksbeirat weiterhin vom Oberbürgermeister oder einer von ihm beauftragten Person übernommen wird. Allerdings soll die bisherige Praxis, zwei Stadträte unterschiedlicher Fraktionen für die Sitzungsleitung zu bestimmen, entfallen. Laut Verwaltung handelt es sich um eine Anpassung an die gängige Praxis. Für die Grünen bedeutet dies jedoch eine weitere Zentralisierung der Macht. Sie befürchten, dass damit die politische Breite und Vielfalt im Vorsitz geschwächt wird und der Einfluss der Bezirksbeiräte auf die Sitzungsleitung weiter schwindet.
Informationsveranstaltungen ohne Protokoll
Die geplante Änderung in § 12 sieht vor, dass nicht-beschlussfähige Sitzungen als Informationsveranstaltungen fortgeführt werden können – jedoch ohne Protokoll. Dies soll den administrativen Aufwand verringern. Die Grünen sehen dies jedoch als problematisch an, da wichtige Inhalte und Diskussionen aus diesen Treffen nicht mehr dokumentiert würden. Ohne Protokollierung könnten Informationen verloren gehen, und es würde an Transparenz fehlen, wenn der Verlauf und die Ergebnisse von Diskussionen nicht festgehalten werden. Für die Bezirksbeiräte, die als Verbindungsglied zwischen der Verwaltung und den Bürgern fungieren, ist dies ein zentraler Punkt: Ohne eine umfassende Dokumentation blieben die Beteiligten außen vor.
Der Vorwurf: Schwächung der Bürgerbeteiligung
Im Kern richtet sich die Kritik der Grünen an den Oberbürgermeister gegen die drohende Schwächung der Bürgerbeteiligung und der Transparenz in Mannheim. Bereits jetzt haben die Bezirksbeiräte nur eine beratende Funktion. Wenn ihnen auch noch der Zugang zu Vorberatungen und öffentlichen Sitzungen erschwert wird, verlieren sie laut den Grünen ihre wichtigste Aufgabe: den Kontakt zu den Stadtteilen zu halten und als Sprachrohr der Bürgerinnen und Bürger zu fungieren.
Die Entscheidung im Gemeinderat am 1. Oktober wird zeigen, ob die Bedenken der Bezirksbeiräte Gehör finden oder ob die Änderungen wie geplant umgesetzt werden. Für die Grünen ist klar: Mit diesen Reformen steht die demokratische Kultur der Stadt Mannheim auf dem Spiel.
(Anm. d. Red.: Wir haben auch die anderen Parteien um ein Statement gebeten. Aufgrund der Kurzfristigkeit konnten diese noch nicht reagieren. Wir fügen deren Antworten später hier noch ein.)
Quellen: Offener Brief der Grünen Bezirksbeirät*innen, Bürgerinformationssystem der Stadt Mannheim
Der Offene Brief im Wortlaut
Offener Brief an Herrn Oberbürgermeister Specht, Gemeinderät:innen und Pressvertreter:innen
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Specht,
auf der Gemeinderatssitzung am 01.10. ist eine Änderung der Geschäftsordnung für den Bezirksbeirat der Stadt Mannheim vorgesehen. Wir als Bezirksbeirät:innen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehen sowohl einige inhaltliche Änderungen in der GO als auch den Prozess der Entscheidung kritisch. Dies möchten wir in diesem offenen Brief adressieren.
Auf der Website der Stadt Mannheim wird der Bezirksbeirat (BBR) als „beratendes Gremium des Gemeinderats“ verstanden, welches unter anderem dazu beitragen soll, „die Bevölkerung frühzeitiger in die kommunalen Entscheidungen einzubinden und mehr Transparenz zu schaffen.“
Einige Änderungen an der GO widersprechen aus unserer Sicht diesem Ziel. In § 5 der zu entscheidenden Geschäftsordnung wird darauf verwiesen, dass der Oberbürgermeister darüber entscheiden kann, auf BBR-Sitzungen zu verzichten, sofern diese Anliegen behandeln, die bereits dem Gemeinderat vorliegen – was viele Anliegen sicherlich tun. Wir vermuten hier, dass Gremien verschlankt werden und so Aufwände in der Verwaltung reduziert werden sollen. Wir sehen allerdings auch die Gefahr, dass für die Stadtbezirke wichtige Themen in der Öffentlichkeit der Stadtgesellschaft nicht ausreichend wahrgenommen und so noch stärker aus öffentlichen Debatten verschwinden könnten. Bürger:innen besuchen eher BBR-Sitzungen in ihrem Bezirk, als an einer Gemeinderatssitzung teilzunehmen, sowohl aus zeitlichen als auch aus inhaltlichen Gründen.
Insbesondere in Verbindung mit den in § 11 vorgeschlagenen Änderungen, dass der BBR einberufen wird, „wenn es die Geschäftslage erfordert“, mit der Ergänzung, dass es „nicht von Belang“ sei, „ob es sich um eine öffentliche oder eine nichtöffentliche Sitzung handelt“, bedeutet das unserer Meinung nach eine Entwertung des Gremiums Bezirksbeirat sowie auch des ehrenamtlichen Engagements der Bezirksbeirät:innen. Öffentliche Sitzungen sind neben der Information der Bürger:innen auch wichtig für die Vernetzung der BBRs mit den Bürger:innen und den gesellschaftlich Engagierten. Durch diese Änderungen der Geschäftsordnung könnten öffentliche Sitzungen komplett verhindert werden. Wir fordern, dass die entsprechende Formulierung aus der GO genommen wird.
In zurückliegenden Wahlperioden entstanden Änderungen an der Geschäftsordnung im Rahmen von Workshops mit den Bezirksbeirät:innen. Sie setzten in der Vergangenheit auf Beteiligung und boten die Möglichkeit, interessante Anregungen aus den Bezirksbeiräten zu erhalten. Die Geschäftsordnung ist immerhin Arbeitsgrundlage für die nächsten fünf Jahre.
Zudem appellieren wir an Ihr Versprechen, welches Sie als Oberbürgermeisterkandidat mehrfach zum Ausdruck gebracht hatten: Sie setzen sich für ehrenamtliches Engagement ein!
Mit der neuen Rolle des Vereinsbeauftragten wird dem ehrenamtlichen Engagement entsprechende Wertschätzung entgegengebracht. Es kann und darf im Gegenzug dazu allerdings nicht sein, dass dieses Engagement an anderer Stelle eingeschränkt und entwertet wird. Eine Entwertung sehen wir in den Änderungen der Geschäftsordnung und in der Nichtbeteiligung der Bezirksbeirät:innen.
Wir wollen zudem unseren Unmut zum Vorgehen hinsichtlich der Entscheidungsvorlage zum Ausdruck bringen: Es mag dem üblichen Ablauf entsprechen, die Änderung der GO als TOP auf die Sitzung des Gemeinderats zu setzen. Das betreffende Gremium – hier die Bezirksbeiräte – darüber nicht weiter in Kenntnis zu setzen, kritisieren wir allerdings scharf. An dieser Stelle möchten wir auch darauf hinweisen, dass der Gemeinderat sowie die Bezirksbeiräte einige neue Mitglieder haben, welche die Gepflogenheiten des politischen Betriebs noch nicht gut kennen, und beide Gremien ausschließlich durch ehrenamtliche Mitglieder besetzt sind. Es kann nicht erwartet werden, dass alle BBRs selbstständig diese Information einholen.
Wir fordern daher, dass Informationen bezüglich Änderungen, die den Bezirksbeirat selbst betreffen, mit ausreichend zeitlichem Vorlauf durch die Verwaltung dem Bezirksbeirat mitgeteilt werden. Dies gebietet der demokratische Prozess, die Transparenz und vor allem auch die Wertschätzung unseres ehrenamtlichen Engagements. Die Gelegenheit, sich einzubringen, sollte uns nicht genommen werden.
Mit freundlichen Grüßen
29.09.2024, Bezirksbeirät:innen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Unterzeichner:innen:
Carmen Fontagnier, Ines Joneleit, Julian Maier, Maximilian Schulz, Carolina Fenner, Verena Döpp, Pia Becker, Cornelia Schacht, Jan Woschinski, Julia Gast-Federspiel, Dr. Matthias Reiß, Frank Reinemuth, Harald Knecht, Jochen Stien, Philipp Krechlak, Linda Emde, Fouzia Hammoud, Katharina Dietrich, Lea Sophie Kist, Sophia Dittes, Jutta Schroth, Anna Knowles, Patric Liebscher, Tamara Beckh, Carsten Wegner, Cornelius Zapf, Wanja Pasdzierny, Florian Fuß, Mathias Pitz, Melanie Schmitt, Maria Kemmer