
Melis Sekmen könnte den Wahlkreis gewinnen – und dennoch nicht in den Bundestag einziehen. Das neue Wahlrecht macht ihre Erststimme riskant.
Laut einer aktuellen Erststimmenprognose (Stand: 20. Februar 2025) des wissenschaftlichen Projekts zweitstimme.org1 hat Sekmen eine 62-prozentige Wahrscheinlichkeit, den Wahlkreis Mannheim zu gewinnen. Dennoch bleibt ihr Einzug in den Bundestag unsicher. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mannheim am Ende gar kein besetztes Direktmandat hat, liegt deshalb auch recht hoch bei 58 Prozent.
Hinweis!
Dieser Artikel ist keine Wahlempfehlung für eine Partei oder Kandidat*in, sondern eine neutrale Analyse darüber, wie Wähler*innen ihre Erststimme strategisch nutzen können, um die Anzahl der Mannheimer Abgeordneten im Bundestag zu maximieren.
Warum zählt ein Direktmandat nicht mehr sicher?
Das neue Wahlrecht verändert die Sitzvergabe im Bundestag grundlegend. Bislang sicherten sich Kandidat*innen mit den meisten Erststimmen im Wahlkreis automatisch einen Sitz im Parlament, unabhängig vom Abschneiden ihrer Partei bei den Zweitstimmen. Vor allem die CDU profitierte massiv von diesem System, weil sie in vielen Bundesländern überproportional viele Direktmandate gewann. In Baden-Württemberg holte sie 2021 insgesamt 33 von 38 Wahlkreisen direkt. Nach dem neuen Wahlrecht wären jedoch nur 22 dieser Mandate berücksichtigt worden.
Die Reform soll die Sitzverteilung gerechter machen, indem sie die Zusammensetzung des Bundestags näher am Zweitstimmenergebnis ausrichtet. Bisher führten Überhang- und Ausgleichsmandate dazu, dass die CDU mehr Sitze erhielt, als ihr nach den Zweitstimmen eigentlich zustanden. Das Parlament wuchs dadurch stark an, während Parteien wie SPD und Grüne benachteiligt wurden. Mit der neuen Regelung wird verhindert, dass eine Partei durch überproportional viele Direktmandate mehr Sitze erhält, als ihr nach dem Wählerwillen zustehen. Die Gesamtzahl der Bundestagssitze bleibt dadurch begrenzt, und die Sitzverteilung spiegelt das Verhältnis der Zweitstimmen genauer wider.
Für Mannheim bedeutet das: Selbst wenn Sekmen den Wahlkreis gewinnt, könnte sie aus dem Bundestag herausfallen, wenn CDU-Kandidat*innen in anderen Wahlkreisen in Baden-Württemberg bessere Erststimmenergebnisse erzielen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie trotz Wahlsieg nicht ins Parlament einzieht, ist hoch.
Wie sicher sind die Bundestagsmandate für Mannheim?
Sekmen müsste nicht nur Cademartori und Wellenreuther überholen, sondern auch andere CDU-Direktkandidat*innen im Land, die in Hochburgen der Partei antreten. Sie betont, dass das neue Wahlrecht Direktmandate entwerte, weil es den Wahlkreiskandidaten (nicht gegendert, Anm. d. Red.) mit den meisten Stimmen kappen könne. Sie setzt darauf, dass eine starke Erststimmenkampagne ihr Mandat absichern kann. Gleichzeitig sieht sie die Bedeutung der Zweitstimmen: „Mit einem guten landesweiten Zweitstimmen-Ergebnis steigt die Chance, so viele Wahlkreiskandidaten wie möglich ins Parlament zu entsenden.“
Während Sekmen also trotz eines möglichen Wahlsiegs um ihr Mandat bangen muss, ist Cademartori fast sicher wieder im Bundestag. Die SPD-Abgeordnete wurde auf den neunten Listenplatz ihrer Partei gesetzt. Selbst wenn sie ihr Direktmandat verliert, wird sie über die Landesliste in den Bundestag einziehen. Sekmen hingegen kann auf ihren siebten Platz auf der CDU-Landesliste kaum bauen. Die Christdemokraten ziehen in Baden-Württemberg in der Regel nur über Direktmandate in den Bundestag ein, weil sie landesweit mehr Wahlkreise gewinnen, als ihnen nach Zweitstimmen eigentlich zustehen.
Die Grünen setzen mit Nina Wellenreuther auf eine Kandidatin, die ebenfalls Chancen auf den Wahlkreissieg hat. Sie liegt laut zweitstimme.org nur knapp hinter Sekmen und vor Cademartori. Ihre Chancen, über die Landesliste ins Parlament einzuziehen, sind jedoch gering. Wellenreuther wurde auf Platz 21 der Grünen-Landesliste in Baden-Württemberg gewählt. Zum Vergleich: Ihre Vorgängerin Melis Sekmen (damals Grüne, mittlerweile CDU) schaffte es 2021 als 17. der Liste gerade noch nach Berlin – bei einem damals deutlich besseren Zweitstimmenergebnis für die Grünen als derzeit erwartet wird. Wellenreuther selbst hatte bereits prognostiziert, dass sie den Wahlkreis gewinnen müsse, um nach Berlin zu kommen.
Wie bekommt Mannheim möglichst viele Bundestagsabgeordnete?
Wer möglichst viele Mannheimer Vertreter*innen im Bundestag sehen möchte, muss strategisch wählen. Sicher ist bisher, dass Cademartori über die SPD-Landesliste wieder in den Bundestag kommt – unabhängig davon, ob sie ihr Direktmandat verteidigt oder nicht. Gökay Akbulut (Linke) hat ebenfalls gute Chancen, über die Landesliste ihrer Partei einzuziehen. Es gilt auch als relativ sicher, dass der AfD-Kandidat über die Landesliste seiner Partei in das Parlament einzieht. Sekmen ist nur sicher dabei, wenn die CDU landesweit so viele Zweitstimmen holt, dass alle Direktmandate besetzt werden können.
In der aktuellen Lage könnte die Erststimmenvergabe entscheidend dafür sein, ob Mannheim drei oder sogar vier Abgeordnete in den Bundestag entsendet. Sicher sind bisher Cademartori, Akbulut und der AfD-Kandidat. Wellenreuther könnte die vierte Mannheimer Abgeordnete werden, wenn sie den Wahlkreis gewinnt. Eine Erststimme für Sekmen hingegen könnte letztlich bedeutungslos bleiben, wenn sie zwar den Wahlkreis gewinnt, aber nicht ins Parlament einzieht.
Taktisches Wählen könnte ein zusätzliches Mandat bringen
In der aktuellen Lage könnte ein taktisches Stimmen-Splitting die Zahl der Mannheimer Abgeordneten im Bundestag beeinflussen. Da SPD und Linke ihre Kandidatinnen sicher im Parlament haben und Sekmens Einzug trotz eines möglichen Wahlsiegs unsicher bleibt, könnten Mannheimer*innen ihre Erststimme strategisch einsetzen. Wer ein zusätzliches Mandat aus Mannheim ermöglichen will, könnte die verbleibende Kandidatin von den Grünen unterstützen, um ihr die Chance auf ein Direktmandat zu geben.
Quellen: zweitstimme.org, Rhein-Neckar-Zeitung, Mannheimer Morgen, Stuttgarter Zeitung, eigene Recherchen, Presseanfrage an MdB Sekmen
- Zweitstimme.org ist ein wissenschaftliches Projekt unter der Leitung von Prof. Dr. Lukas Stötzer von der Universität Witten/Herdecke, das präzise Prognosen für die Bundestagswahl 2025 erstellt. Das Team führt umfangreiche Online-Befragungen mit Bürger*innen, Journalist*innen und Wahlkreiskandidat*innen durch und nutzt diese Daten, um tägliche Vorhersagen sowohl für das bundesweite Ergebnis als auch für einzelne Wahlkreise zu liefern. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt wird in Zusammenarbeit mit Forscher_innen der Hertie School Berlin und der Universität Mannheim durchgeführt, wobei Prof. Thomas Gschwend, PhD, Professor am Fachbereich für Politikwissenschaft der Universität Mannheim, Teil des Kernteams ist. ↩