Warum auch die Mannheimer CDU eine verkehrsberuhigte Innenstadt braucht. Ein Gastartikel von Patric Liebscher.
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In Mannheim wurde das Automobil erfunden. Im Stadtteil Waldhof baut der „Benz“ u.a. Busse und LKW-Motoren. Das Werk hat circa 4800 Mitarbeiter und ist einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Stadt. Es erstaunt also wenig, dass Mannheim im „Auto-Land“ Baden-Württemberg als autogerechte Stadt konzipiert wurde. Breite Ringe führen um die seit kurfürstlichen Zeiten in Quadrate aufgeteilte Innenstadt herum. Auf alten Fotos sieht man, wie die Planken vor der BUGA 1976 vom Verkehr durchflossen wurden und der Paradeplatz als Großparkplatz diente. Doch auch heute kommt man in den Quadraten mit dem Auto (wenn man nicht im Stau steht) fast überall hin. Bis vor wenigen Jahren zierte noch der „gute Stern auf allen Straßen“ ein Hochhaus am Parkring.
Mit der zunehmenden Zahl von Autos und dem zunehmenden Verkehr wurde immer deutlicher, dass autofreie Zonen in der Stadt die Lebensqualität erhöhen und auch dem Handel nützen. So entstanden seit den 70er-Jahren immer mehr Fußgängerzonen in deutschen Innenstädten. In Mannheim war es zur BUGA 1976 so weit. Die Haupteinkaufsstraße „Planken“ wurde zur Fußgängerzone. Seitdem hat sich in Mannheim diesbezüglich in der Innenstadt nicht viel getan. Die Fußgängerzone wurde lediglich um einige Seitenstraßen und die Breite Straße erweitert.
Mit dem zunehmenden Autoverkehr und der steigenden Zahl von Autos stieg auch die Kritik an Lärm, Abgasen und dem Raum, den Autos in der Stadt für sich beanspruchen. Unter anderem dieses Thema führte zum Aufstieg der Grünen, die seit den 80er-Jahren in Mannheim bei Kommunalwahlen immer mehr Stimmen für sich verbuchen konnten – bis hin zu einer relativen Mehrheit bei der Kommunalwahl 2019. Die anderen großen Parteien SPD und CDU wollten sich auf eine grundsätzliche Verkehrsberuhigung in der Innenstadt bzw. größere autofreie Bereiche aber nicht einlassen. So hat Mannheim eine im Vergleich zu anderen Großstädten immer noch kleine – und dazu noch von der Straßenbahn durchfahrene – Fußgängerzone. Anstatt die BUGA 2023, wie 1976, für einen großen Wurf und eine deutliche Erweiterung der Fußgängerzone (z.B. um Fressgasse und Kunststraße) zu nutzen, wurde erst mal ein Gutachten eingeholt. Ein (weithin als misslungen empfundener) Verkehrsversuch sollte weitere Aufklärung bringen.
Der Sommer war groß – und laut
Seitdem hat sich nichts mehr getan. Nur die Probleme haben sich verschärft. Vor allem in der warmen Jahreszeit schieben sich jedes Wochenende, besonders nachmittags, abends und nachts, Poserkolonnen mit PS-starken Wagen durch Fressgasse und Kunststraße. Es ist ein großes Sehen-und-Gesehen- (bzw. Gehört-)werden. Die meisten dieser Autos haben auswärtige Kennzeichen. Sie strömen scheinbar ziellos durch die Innenstadt. Nicht wenige scheinen im Kreis zu fahren.
Das könnte man als eine Art Folklore abtun, wenn es nicht inzwischen in jedem Sommer vor allem am Wochenende in der Nacht zu Hupkonzerten und lauter Automusik-Beschallung käme. Viele Menschen, die in der Innenstadt wohnen, sind verzweifelt. Gerade an besonders heißen Tagen, wo es sich nur nachts abkühlt, können sie die Fenster zum Schlafen nicht mehr öffnen. Entspanntes Radfahren in der Innenstadt ist so schon gar nicht möglich. Zuletzt versuchte die Stadt, durch hilflos wirkende Appelle an die Poserszene auf Plakatwänden die Situation zu verbessern.
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Kommunalpolitisch hätte die SPD in den letzten Jahrzehnten zusammen mit den Grünen Pläne für eine Verkehrsberuhigung der Innenstadt auf den Weg bringen können. Doch die SPD konnte sich – mutmaßlich auch wegen Verbindungen zur IG Metall und zum Benz-Betriebsrat – nie ganz von der autogerechten Stadt verabschieden. Sie hat das kommunalpolitisch teuer bezahlt.
Stärkste kommunalpolitische Kraft ist nach der letzten Gemeinderatswahl die CDU, die auch seit einem Jahr den Oberbürgermeister stellt. Sie laviert seit langem zwischen konservativer Klientel und ökologischem Bürgertum. So hat sie bereits vor Jahren gefordert, die Fußgängerzone um die Kunststraße zu erweitern. Passiert ist – nichts. Und tatsächlich ist die politische Stimmung nach dem Verkehrsversuch einer zusätzlichen Verkehrsberuhigung auch nicht zugetan. Die CDU sollte sie dennoch in Erwägung ziehen.
Eine Verkehrsberuhigung der Innenstadt würde auch der CDU nützen
Die Belästigung der Wohnbevölkerung durch Massen von Autoposern und ziellosen Cruiser-Verkehr nimmt inzwischen Ausmaße an, die das Wohnen in der Innenstadt zunehmend unattraktiv machen. Dort schätzen viele die kurzen Wege, Kultur, Einkaufsmöglichkeiten und Ärztedichte. Sie nehmen dafür auch höhere Mieten oder Eigentumspreise in Kauf. Diese Bevölkerung – häufig gutverdienende liberale Mittelschicht – wird die Innenstadt verlassen, wenn neben zunehmenden Hitzewellen im Sommer die ständige Belästigung durch den Verkehr das Wohnen in der Innenstadt unattraktiv macht. Sie werden in die Vororte ziehen, was auch Auswirkungen auf die strukturellen Mehrheiten der CDU in diesen Gebieten haben kann.
In der Folge wird sich in diesem Fall die Unterstadt mit ihren sozialen und sonstigen Problemen nach Süden ausdehnen, bis über die Kunststraße hinaus. Mittelfristig würde dies auch dem Handelsstandort massiv schaden. Ankergeschäfte wie Engelhorn würden sich nach anderen Standorten umschauen.
Konservative Wählerinnen und Wähler würden dies der CDU nicht verzeihen und ggfs. zur AfD überlaufen, wie Beispiele gescheiterter Städte im Ruhrgebiet zeigen. Wenn die CDU einer Verkehrsberuhigung der Innenstadt aus politischer Einsicht nicht zustimmt, so sollte sie dies vor allem aus Eigeninteresse tun. Ihre kommunale Mehrheitsfähigkeit in der Zukunft hängt – auch – davon ab. Die Erweiterung der innerstädtischen Fußgängerzone um die Kunststraße wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Dieser Gastartikel gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autoren wieder.
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Warum auch die Mannheimer CDU eine verkehrsberuhigte Innenstadt braucht. Ein Gastartikel von Patric Liebscher.
In Mannheim wurde das Automobil erfunden. Im Stadtteil Waldhof baut der „Benz“ u.a. Busse und LKW-Motoren. Das Werk hat circa 4800 Mitarbeiter und ist einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Stadt. Es erstaunt also wenig, dass Mannheim im „Auto-Land“ Baden-Württemberg als autogerechte Stadt konzipiert wurde. Breite Ringe führen um die seit kurfürstlichen Zeiten in Quadrate aufgeteilte Innenstadt herum. Auf alten Fotos sieht man, wie die Planken vor der BUGA 1976 vom Verkehr durchflossen wurden und der Paradeplatz als Großparkplatz diente. Doch auch heute kommt man in den Quadraten mit dem Auto (wenn man nicht im Stau steht) fast überall hin. Bis vor wenigen Jahren zierte noch der „gute Stern auf allen Straßen“ ein Hochhaus am Parkring.
Mit der zunehmenden Zahl von Autos und dem zunehmenden Verkehr wurde immer deutlicher, dass autofreie Zonen in der Stadt die Lebensqualität erhöhen und auch dem Handel nützen. So entstanden seit den 70er-Jahren immer mehr Fußgängerzonen in deutschen Innenstädten. In Mannheim war es zur BUGA 1976 so weit. Die Haupteinkaufsstraße „Planken“ wurde zur Fußgängerzone. Seitdem hat sich in Mannheim diesbezüglich in der Innenstadt nicht viel getan. Die Fußgängerzone wurde lediglich um einige Seitenstraßen und die Breite Straße erweitert.
Mit dem zunehmenden Autoverkehr und der steigenden Zahl von Autos stieg auch die Kritik an Lärm, Abgasen und dem Raum, den Autos in der Stadt für sich beanspruchen. Unter anderem dieses Thema führte zum Aufstieg der Grünen, die seit den 80er-Jahren in Mannheim bei Kommunalwahlen immer mehr Stimmen für sich verbuchen konnten – bis hin zu einer relativen Mehrheit bei der Kommunalwahl 2019. Die anderen großen Parteien SPD und CDU wollten sich auf eine grundsätzliche Verkehrsberuhigung in der Innenstadt bzw. größere autofreie Bereiche aber nicht einlassen. So hat Mannheim eine im Vergleich zu anderen Großstädten immer noch kleine – und dazu noch von der Straßenbahn durchfahrene – Fußgängerzone. Anstatt die BUGA 2023, wie 1976, für einen großen Wurf und eine deutliche Erweiterung der Fußgängerzone (z.B. um Fressgasse und Kunststraße) zu nutzen, wurde erst mal ein Gutachten eingeholt. Ein (weithin als misslungen empfundener) Verkehrsversuch sollte weitere Aufklärung bringen.
Der Sommer war groß – und laut
Seitdem hat sich nichts mehr getan. Nur die Probleme haben sich verschärft. Vor allem in der warmen Jahreszeit schieben sich jedes Wochenende, besonders nachmittags, abends und nachts, Poserkolonnen mit PS-starken Wagen durch Fressgasse und Kunststraße. Es ist ein großes Sehen-und-Gesehen- (bzw. Gehört-)werden. Die meisten dieser Autos haben auswärtige Kennzeichen. Sie strömen scheinbar ziellos durch die Innenstadt. Nicht wenige scheinen im Kreis zu fahren.
Das könnte man als eine Art Folklore abtun, wenn es nicht inzwischen in jedem Sommer vor allem am Wochenende in der Nacht zu Hupkonzerten und lauter Automusik-Beschallung käme. Viele Menschen, die in der Innenstadt wohnen, sind verzweifelt. Gerade an besonders heißen Tagen, wo es sich nur nachts abkühlt, können sie die Fenster zum Schlafen nicht mehr öffnen. Entspanntes Radfahren in der Innenstadt ist so schon gar nicht möglich. Zuletzt versuchte die Stadt, durch hilflos wirkende Appelle an die Poserszene auf Plakatwänden die Situation zu verbessern.
Kommunalpolitisch hätte die SPD in den letzten Jahrzehnten zusammen mit den Grünen Pläne für eine Verkehrsberuhigung der Innenstadt auf den Weg bringen können. Doch die SPD konnte sich – mutmaßlich auch wegen Verbindungen zur IG Metall und zum Benz-Betriebsrat – nie ganz von der autogerechten Stadt verabschieden. Sie hat das kommunalpolitisch teuer bezahlt.
Stärkste kommunalpolitische Kraft ist nach der letzten Gemeinderatswahl die CDU, die auch seit einem Jahr den Oberbürgermeister stellt. Sie laviert seit langem zwischen konservativer Klientel und ökologischem Bürgertum. So hat sie bereits vor Jahren gefordert, die Fußgängerzone um die Kunststraße zu erweitern. Passiert ist – nichts. Und tatsächlich ist die politische Stimmung nach dem Verkehrsversuch einer zusätzlichen Verkehrsberuhigung auch nicht zugetan. Die CDU sollte sie dennoch in Erwägung ziehen.
Eine Verkehrsberuhigung der Innenstadt würde auch der CDU nützen
Die Belästigung der Wohnbevölkerung durch Massen von Autoposern und ziellosen Cruiser-Verkehr nimmt inzwischen Ausmaße an, die das Wohnen in der Innenstadt zunehmend unattraktiv machen. Dort schätzen viele die kurzen Wege, Kultur, Einkaufsmöglichkeiten und Ärztedichte. Sie nehmen dafür auch höhere Mieten oder Eigentumspreise in Kauf. Diese Bevölkerung – häufig gutverdienende liberale Mittelschicht – wird die Innenstadt verlassen, wenn neben zunehmenden Hitzewellen im Sommer die ständige Belästigung durch den Verkehr das Wohnen in der Innenstadt unattraktiv macht. Sie werden in die Vororte ziehen, was auch Auswirkungen auf die strukturellen Mehrheiten der CDU in diesen Gebieten haben kann.
In der Folge wird sich in diesem Fall die Unterstadt mit ihren sozialen und sonstigen Problemen nach Süden ausdehnen, bis über die Kunststraße hinaus. Mittelfristig würde dies auch dem Handelsstandort massiv schaden. Ankergeschäfte wie Engelhorn würden sich nach anderen Standorten umschauen.
Konservative Wählerinnen und Wähler würden dies der CDU nicht verzeihen und ggfs. zur AfD überlaufen, wie Beispiele gescheiterter Städte im Ruhrgebiet zeigen. Wenn die CDU einer Verkehrsberuhigung der Innenstadt aus politischer Einsicht nicht zustimmt, so sollte sie dies vor allem aus Eigeninteresse tun. Ihre kommunale Mehrheitsfähigkeit in der Zukunft hängt – auch – davon ab. Die Erweiterung der innerstädtischen Fußgängerzone um die Kunststraße wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
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